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Pestizidausbringung (Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 109

Neuer Ansatz bei der Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln

Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel belasten Gesundheit und Umwelt und werden von der Bevölkerung daher zunehmend abgelehnt. Doch was sind die Alternativen für die Landwirtschaft? Molekularbiologen arbeiten an einer Technologie, welche natürliche Abwehrmechanismen imitiert und bei Schädlingen gezielt lebenswichtige Gene abschaltet. Eine Technik mehr, bei der sich die Frage stellt, wie Chancen und Risiken gegeneinander abgewogen werden können und wie sie von den Behörden international reguliert werden soll.

Text: Benno Vogel

«Faszinierend», «bahnbrechend», «revolutionär» – glaubt man den Worten von Forschenden, bricht im Pflanzenschutz eine neue Ära an. Auslöser sind spraybare Präparate, die dank eines neuartigen Wirkstoffs eine umweltfreundliche Bekämpfung von Schädlingen und Krankheitserregern möglich machen sollen. Der Name des Wirkstoffs ist doppelsträngige Ribonukleinsäure oder kurz dsRNA. Schädlinge nehmen ihn durch Fressen der Pflanzenteile oder durch Saugen auf.
Was diese dsRNA besonders macht, ist ihre Programmierbarkeit. RNA ist wie DNA aus vier verschiedenen Basen aufgebaut und die genaue Abfolge dieser Bausteine lässt sich bei der Herstellung bestimmen. Nutzbar ist die Programmierbarkeit, weil dsRNA in Pilzen, Pflanzen und Tieren die RNA-Interferenz auslöst – einen natürlichen Mechanismus, der zur Stilllegung der Gene führt, deren Basenabfolge mit der dsRNA übereinstimmt.
Anders ausgedrückt: Da Forschende dsRNA so aufbauen können, dass sie mit Genen übereinstimmt, die für Schadorganismen lebenswichtig sind, steht im Pflanzenschutz heute ein Wirkstoff bereit, der – so das Versprechen der Forschenden – die Herstellung Arten-spezifischer und somit nebenwirkungsarmer Präparate ermöglichen soll. Mehr noch: Da sich mit dsRNA selbst virale Gene abstellen lassen, könnte es erstmals möglich werden, auch Pflanzenviren direkt zu bekämpfen. Bis jetzt gibt es nur indirekte Wege – entweder via Züchtung resistenter Pflanzensorten oder via Abtöten der Insekten, die die Viren übertragen.
Noch sind keine dsRNA-Sprays auf dem Markt. Doch das dürfte sich bald ändern. Nicht nur, weil erste Feldversuche erfolgreich abgeschlossen sind, sondern auch, weil Firmen Wege gefunden haben, grosse Mengen dsRNA billig herzustellen. Lagen die Herstellungskosten für ein Gramm dsRNA vor zehn Jahren noch bei 12 000 Franken, soll die gleiche Menge heute für weniger als 50 Rappen produzierbar sein.
Eines der ersten Produkte, die auf den Markt kommen dürften, ist ein Spray gegen den Kartoffelkäfer. GreenLight Biosciences will dieses Jahr in den USA die Zulassung beantragen und plant die Marktlancierung für 2022. Bis dahin dürfte eine Reihe weiterer Präparate marktreif sein. Denn neben GreenLight Biosciences treiben noch andere kleinere und mittlere Unternehmen die Lancierung von dsRNA-Produkten voran. Die US-Firma Agro-Spheres zum Beispiel hat gleich mehrere Sprays in der Pipeline: gegen Blütenthripse, winzige Insekten, die bei Zierblumen ihr Unwesen treiben, gegen den Herbst-Heerwurm, der Mais befällt, und gegen den Botrytis-Pilz, der bei verschiedenen Pflanzenarten Grauschimmel verursacht. Die brasilianische Firma Lotan will dsRNA auf den Markt bringen, die Weisse Fliegen abtötet, und in Deutschland arbeitet RLP Agro-Science an einem Spray gegen die Kirschessigfliege.

 Wie wird die Zulassung geregelt?

Feld GelbeUniform PestizideKönnten RNA-Sprays hochgiftige Pestizide ersetzen? (Bild: Shutterstock)

Und die grossen Agrochemie-Konzerne? Die haben das Potenzial der dsRNA längst erkannt und sich mit Kooperationen und Firmenübernahmen in Stellung gebracht. Der israelische Multi Adama zum Beispiel arbeitet mit AgroSpheres zusammen. Syngenta, wie Adama ein Tochterunternehmen von Chemchina, hat 2012 für 403 Millionen Euro die belgische Firma Devgen gekauft und entwickelt seither mit deren Know-how RNA-Sprays – unter anderem gegen Floh- und Kartoffelkäfer. Die gleichen Käferarten im Visier hat auch Bayer CropScience, die seit der Übernahme von Monsanto über das RNA-Spraysystem Biodirect verfügt. Und während BASF Forschung zur Bekämpfung von Fusarienpilzen finanziert, unterstützt Nufarm die Entwicklung von dsRNA-Präparaten gegen Pflanzenviren.
Auch wenn dsRNA-Präparate erst in der Entwicklung sind, arbeiten Forschung und Industrie bereits daran, für deren Lancierung ein günstiges gesellschaftliches und regulatorisches Umfeld zu schaffen. Das Zielpublikum der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit sind Politik, Behörden und Bevölkerung. Dort beginnen jetzt die Debatten über die Fragen, deren Beantwortung das Umfeld wesentlich bestimmen werden: Sind Umwelt und Gesundheit in Gefahr, wenn dsRNA grossflächig auf die Felder versprüht wird? Und wie stellt der Staat sicher, dass nur unbedenkliche Produkte zugelassen werden?

Industrie betreibt Imagepflege

 KartoffelkäferEines der ersten Produkte, die auf den Markt kommen dürften, ist ein Spray gegen den Kartoffelkäfer. GreenLight Biosciences will dieses Jahr in den USA die Zulassung beantragen und plant die Marktlancierung für 2022. (Bild: Shutterstock)

Um die Antworten in ihrem Sinne zu beeinflussen, haben die Firmen eine klare Botschaft parat: Da RNA eine natürliche und gesundheitlich unbedenkliche Substanz ist, die wir täglich mit unserer Nahrung aufnehmen, sind die spezifisch wirkenden dsRNA-Sprays ein innovatives Mittel für den biologischen Pflanzenschutz.
Wenn die Firmen das Image der dsRNA als Biopestizid fördern, dürften sie damit vor allem zwei Ziele verfolgen. Das erste ist, Akzeptanz bei Politik und Bevölkerung schaffen. Denn dort steht die Branche mit ihrem gängigen Geschäftsmodell – dem Verkauf chemisch-synthetischer Pestizide – heftig in der Kritik. Vor allem in Europa: In der EU startete Ende 2019 die Bürgerinitiative Bienen und Bauern retten, die chemisch-synthetische Pestizide bis 2035 verbieten will. In der Schweiz sind mit der Trinkwasser- und der Pestizidverbots-Initiative gleich zwei Volksbegehren hängig, die in der Landwirtschaft synthetische Mittel stark verringern oder ganz verbieten wollen. Selbst der Bundesrat hat 2017 einen Aktionsplan verabschiedet, mit dem er Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz fördern will.
Das zweite Ziel ist, mögliche Gefahren von dsRNA-Sprays als irrelevant erscheinen zu lassen und dadurch nicht nur hohe Anforderungen an die Sicherheitstests zu verhindern, sondern auch die Kosten für die Zulassung tief zu halten. Im Visier der Lobbyarbeit sind hier die Bewilligungsbehörden. Die müssen jetzt nämlich klären, welche Gefahren sie für bedeutsam halten, und entscheiden, welche Daten sie von den Firmen verlangen, um die Risiken der einzelnen Produkte zu bewerten.
Dass die Botschaft der Industrie gewisse Aspekte unbetont oder unerwähnt lässt, liegt in der Logik des Marketings. Einer dieser Aspekte ist die Herstellungsweise. Auch wenn RNA ein natürlicher Stoff ist, stammt die dsRNA in den Sprays aus unnatürlichen Quellen. Hergestellt wird sie nämlich entweder chemisch-synthetisch in der Maschine, mit In-vitro-Systemen der Synthetischen Biologie oder mittels gentechnisch veränderter Bakterien. Letzteres geschieht zwar in geschlossenen Fermentern, und die dsRNA wird anschliessend von den Bakterien gereinigt. Trotzdem können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen wer-den, und es besteht die Gefahr, dass mit den dsRNA-Sprays unbeabsichtigt auch gentechnisch veränderte Bakterien auf die Felder kommen.
Ein weiterer Aspekt ist die unsichere Datenlage. So taucht in den Botschaften der Industrie kaum auf, dass Forschende hoch kontrovers darüber diskutieren, ob mit der Nahrung aufgenommene RNA im menschlichen Körper nicht doch unerwünschte Wirkungen haben kann.

Unabhängige Studien fehlen noch

Kakerlaken
dsRNA-Sprays könnten nicht nur in der Landwirtschaft zur Anwendung kommen. Erforscht werden auch Anwendungen in der Tiermedizin oder im Naturschutz. Auch im Haushalt sind Anwendungen denkbar, beispielsweise im Kampf gegen Kakerlaken. (Bild: Shutterstock)

Aussen vor bleibt auch, wie wenig unabhän-gige Daten zum Umweltverhalten von dsRNA existieren. Wer in der Literatur danach sucht, wie rasch RNA in Böden und Gewässern ab gebaut wird, findet derzeit fünf Studien – vier davon stammen von der Industrie.
Auch was Nebenwirkungen für Nützlinge betrifft, sind kaum Daten vorhanden. Klar ist hier nur, dass die Sprays nicht per se so unbedenklich sind, wie die Firmen betonen. Zwar lässt sich dsRNA so pro-grammieren, dass sie gezielt ein lebenswichtiges Gen lahmlegt. Aber gerade bei diesen Genen ist es oft so, dass ihre Sequenz über die Artengrenzen hinweg konserviert ist.
Noch ein Aspekt, der das Image der dsRNA-Sprays als Biopestizid schmälern und die Risikobewertung beeinflussen könnte: Um die neuartigen Sprühmittel wirksamer zu machen, kreieren die Firmen Formulierungen, in denen die dsRNA chemisch modifiziert, eingepackt in Nanopartikel oder in chromosomenlosen Minizellen auf die Felder kommt.
Ein Ort, an dem Forschung und Industrie auf Behörden treffen, um über die Regulierung von dsRNA-Präparaten zu diskutieren, ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dort hat sich unlängst eine Arbeitsgruppe formiert, um Richtlinien für die Tests zu erarbeiten, mit denen in Zukunft die Sicherheit der dsRNA-Sprays geprüft werden soll. Neben Behörden der OECD-Mitgliedsländer sind auch Bayer und Syngenta mit dabei. Als Start führte die Arbeitsgruppe im April 2019 eine Konferenz durch. Stimmen aus der unabhängigen Forschung waren dort unter den ReferentInnen nicht zu hören.

Noch keine Zulassungsanträge in der Schweiz

Die Prüfrichtlinien der OECD spielen auch in der Schweiz eine wichtige Rolle bei der Pestizidzulassung. Wenn die federführenden Bundesämter für Umwelt (BAFU) und Landwirtschaft (BLW) das hiesige Zulassungsverfahren an dsRNA anpassen werden, dürften die zukünftigen OECD-Richtlinien wegweisend sein.
Neben der Anpassung des Zulassungsverfahrens dürften hierzulande auch rechtliche Aspekte zu klären sein. Da das Schweizer Recht biologisch aktive dsRNA einem Mikroorganismus gleichsetzt, stellt sich die Frage, ob dsRNA-Wirkstoffe rechtlich auch als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft werden könnten. Zu klären dürfte zudem sein, ob das Einbringen von dsRNA in Zellen von Pflanzen, wie es bei gewissen Sprayanwendungen der Fall ist, rechtlich ein gentechnisches Verfahren ist.
Laut BLW fanden in der Schweiz noch keine Feldversuche mit dsRNA-Präparaten statt. Wann Gesuche für solche Tests oder für die Zulassung der neuartigen Spritzmittel eingehen werden, ist unklar. Klar ist jedoch, dass jetzt darüber zu diskutieren ist, wie die RNA-Ära sorgfältig und verantwortungsbewusst gestaltet werden kann. Umso mehr noch, als dsRNA nicht nur im Pflanzenschutz Einzug hält. Für zu Hause könnte es künftig dsRNA-Biozide gegen Bettwanzen und Kakerlaken geben. In der Tiermedizin kommen Präparate gegen die Varroa-Milbe der Honigbiene ins Angebot. Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit sind Sprays gegen Krankheitsüberträger wie die Gelbfiebermücke geplant. Und für den Naturschutz arbeiten Forschende an Mitteln gegen invasive Arten wie den Eschenprachtkäfer. In Vorbereitung ist zudem auch die Trait-on-demand-Landwirtschaft. Sie beruht auf der Idee, Eigenschaften von Pflanzen künftig nicht mehr mit Züchtung zu generieren, sondern während des Anbaus je nach Bedarf mit dsRNA zu erzeugen.
Dass eine Diskussion geboten ist, zeigt auch ein Blick in die Pflanzenzucht. Firmen entwickeln Gentechsorten, die dsRNA selber bilden und sich damit gegen Schädlinge wehren können. Mit dem Smartstax-Pro-Mais von Bayer soll 2020 in Nord- und Südamerika eine erste derartige Sorte auf die Felder kommen. In der EU ist der Hightech-Mais 2019 als Lebens- und Futtermittel bewilligt worden – ohne dass im Zulassungsverfahren die notwendigen Anpassungen an die dsRNA erfolgt wären.