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Eine Dürreperiode sorgte 2018 in Kenia für hohen Ertragseinbussen. (Bild: Cantor/Greenpeace)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 108

Herausforderungen der zukünftigen Landwirtschaft

Man spricht darüber, und das ist gut so. Die Klimaveränderung und was damit zusammenhängt: Hoher Ausstoss von Treibhausgasen, Wetterextreme, Hunger und Lebensmittelverschwendung. Nun möchten auch die Gentechnikbefürworter die erhöhte Aufmerksamkeit für sich nutzen. Sie propagieren, die Agrogentechnik biete Lösungsansätze. Doch was kann die Gentechnik in Bezug auf die heutigen Probleme und die möglichen Herausforderungen, die auf uns zukommen, tatsächlich für uns tun?

Text: Kathrin Graffe

Die Landwirtschaft steht vor grossen Herausforderungen. Durch den Klimawandel werden sie noch verstärkt, denn die Gegebenheiten für den Ackerbau werden zukünftig unkalkulierbaren Veränderungen unterworfen sein. Kommt hinzu, dass die Anzahl der Erdenbewohner weiterhin steigen wird. Hier versucht sich die Gentechindustrie als Helferin zu positionieren. Als Lösungen präsentiert sie die Entwicklung von Saatgut, das an trockene, sehr feuchte oder salzige Böden speziell angepasst sei oder höhere Erträge bringen soll.

Haben diese Vorhaben wirklich Aussicht auf Erfolg? Und ist die Steigerung des Ertrags überhaupt ein Ansatz zur Lösung des Hungerproblems? Dass so viele Menschen keinen Zugang zu ausreichend Nahrung haben und jeden Tag hungern müssen, ist nicht darin begründet, dass wir zu wenig Nahrung produzieren. Es wäre genug für alle da, aber es fehlt der Zugang zu Nahrung oder die Gelegenheit, diese anzubauen. Hans Herren (Pionier der biologischen Schädlingsbekämpfung, Mitautor des Weltagrarberichts und Gründer von Biovision) bringt es auf den Punkt: Damit in Entwicklungsländern mehr produziert werde, brauche es keine Gentechnik, sondern die Vermittlung von mehr und besseren Kenntnissen für die Bäuerinnen und Bauern. Gemäss der Welthungerhilfe sind ausserdem Kriege, Naturkatastrophen und politische Verhältnisse dafür verantwortlich, dass 10 Prozent der Weltbevölkerung ein ausreichender Zugang zu Nahrung fehlt. Dass auch in den Industrieländern Menschen hungern (zum Beispiel 2017 in den USA jeder Sechste), zeigt besonders klar, dass es sich zumindest teilweise um ein Verteilungsproblem handeln muss.

Ausserdem ist unser Ernährungssystem, so wie wir es derzeit pflegen, sehr ineffizient. Laut einer FAO-Studie wird ein Drittel aller Lebensmittel aus verschiedenen Gründen entsorgt. Allein in der EU landen 89 Millionen Tonnen im Abfall. Von diesen gehen 42 Prozent auf das Konto privater Haushalte. In der Reduktion von Food Waste und der Verbesserung des Zugangs zu Nahrung für alle liegt enormes Potenzial. Zudem würde ein geringerer Verzehr von Fleisch und Milchprodukten nicht nur zu einem tieferen Treibhausgasausstoss, sondern auch zur Ressourcenschonung beitragen. Für die Produktion eines Rindssteaks beispielsweise braucht es nach Schätzung von Vier Pfoten 160 Mal mehr Land-, Wasser- und Brennstoffressourcen als für eine vegetarische Speise. Weltweit werden auf 33 Prozent der Ackerfläche Futtermittel für Tiere produziert. Würde man die Felder zum Anbau von Nahrungs- statt Futterpflanzen nutzen, könnte man mehr Nahrung pro Quadratmeter produzieren.

Gentechsaatgut
wird bisher grösstenteils für Futterpflanzen und Baumwolle angebaut. Eine Ertragssteigerung bei diesen Kulturen macht folglich niemanden satt. Auswertungen der Erhebungen des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums zeigen zudem, dass die versprochenen höheren Erträge bisher ausgeblieben sind. In den USA ist der Ertrag generell geringer als in Europa. «Die USA mit Ihrem grossen Anteil an GVO-Grundnahrungsmitteln liegt gegenüber Europa in Bezug auf Nachhaltigkeit und Produktivität zurück.» (John Fagan et al. GVO – Mythen und Tatsachen, 2019) Auch Doug Gurian-Sherman, ehemaliger Biotechnologiebera-ter des EPA (US-Umweltschutzbehörde) und Senior Wissenschaftler der Union of Concerned Scientists, bestätigt die Tatsache, dass «kommerzielle Gentechfeldfrüchte bisher keinen [...] Erfolg in Bezug auf die Steigerung der Ernte von irgendeinem Produkt gezeigt haben. Dagegen war traditionelle Züchtung äusserst erfolgreich [...]».

Dies lässt sich einfach erklären, denn Gentechpflanzen wurden zum grössten Teil auf Herbizidtoleranz und die Produktion von Insektiziden und nicht auf einen gesteigerten Ertrag getrimmt (GVO – Mythen und Tatsachen, 2019). Der Grund dafür liegt darin, dass diese Eigenschaften lukrativ sind, da die Agrarindustrie Folgeprodukte wie zum Beispiel Herbizide mitverkaufen kann. Kommt hinzu, dass sie einfacher herzustellen sind als komplexere Eigenschaften, wie man in der Studie von H. Moldenhauer et al. Zukunft oder Zeitbombe nachlesen kann: «Eigenschaften wie Ertrag, Trocken- oder Salzresistenz sind polygene Merkmale, d.h. sie beruhen auf mehreren Genen, und sind nicht durch einfache Veränderungen wie eine Punktmutation zu erreichen.» Grundsätzlich stellt sich die Frage: Braucht es Gentechnologie zur Produktion unserer Lebensmittel und gibt es überhaupt einen Markt für GV-Produkte? Auch neuste Umfragen belegen, dass die Mehrzahl der Konsumierenden – besonders in Europa – gerne auf Gentech im Essen verzichten würde. Labels, die gentechnikfreie Lebensmittel ausloben, verzeichnen hohe Wachstumsraten – auch in Nordamerika. Im Gegensatz dazu verzeichnete die weltweite Anbaufläche von Gentechnikpflanzen 2018 kaum Zuwachs.

Pestizidintensiver Apfelanbau

BrazilNachhaltige Anbaumethoden sind erfolgreich, da sie auf lokalem Wissen basieren und Felder kleinräumig mit regionalem Saatgut bewirtschaften. (Bild: Cantor/Greenpeace)

«Die Versprechen der Gentechnik für den Obstanbau führen ins Leere.» Das sagt einer, der sich auskennt. Hans-Joachim Bannier ist Pomologe (Obstbaukundler), Buchautor und Mitautor der Studie «Zukunft oder Zeitbombe? Designerpflanzen als Allheilmittel sind nicht die Lösung!». Er beschreibt, wie sich die heute gängigen Sorten entwickelt haben. Bereits in den Dreissigerjahren hat man im Obstanbau vor allem auf die ertragreichen Sorten gesetzt und dabei nicht beachtet, wie anfällig diese Sorten für Krankheiten sind (z.B. Golden Delicious, Cox Orange, Jonathan, McIntosh und Red Delicious). Als immer mehr Äpfel vom Apfelschorf und anderen Krankheiten befallen wurden, was grosse wirtschaftliche Schäden anrichtete, begann man die Apfelplantagen mit Pestiziden zu behandeln. Später kreuzte man diesen ertragreichen und beliebten Sorten, die aber nicht sehr robust sind, ein monogenes Resistenzgen ein. Diese einfache Schorfresistenz erwies sich als nicht stabil. Nach zehn bis zwanzig Jahren war die Resistenz jeweils nicht mehr vorhanden, da der Pilz sich daran anpassen konnte. «Die Züchter sollten sich der historischen Wurzeln bewusst werden und ihre Aufmerksamkeit wieder auf alte, polygen (durch mehrere Gene bedingte) resistente Sorten richten und sie weiterentwickeln», sagt Bannier. Das sei langwieriger, aber langfristig sinnvoller. So wäre die Resistenz breiter verankert und damit stabiler, bräuchte also weniger Pestizidbehandlungen und wäre trotzdem ertragreich, was für die Landwirtschaft sehr wichtig ist. Langfristig vitale Pflanzen gibt es also nur mit genetischer Vielfalt.

Trockenheitsresistenter Mais

Fokus 108 ApfelHochleistungssorten sind besonders anfällig für Krankheiten. Ertragreich sind sie nur mit hohen Pestizidgaben. Züchter sollten ihre Aufmerksamkeit wieder auf alte resistente Sorten richten und diese weiterentwickeln. (Bild: Shutterstock)

Die Entwicklung von Pflanzen, die weniger empfindlich auf Trockenheit reagieren, ist komplex und daher mit gentechnischen Methoden nicht lukrativ. Folglich besteht dafür ein geringes Interesse und es gibt bislang nur ein marktfähiges Produkt: ein trockenheitsresistenter Mais von Monsanto. Bart Lambert, leitender Forscher bei Bayercrop, erklärt: «Es ist vergleichsweise einfach, Pflanzen unempfindlich zu machen gegen Gifte [...] Viel komplexer ist es, Pflanzen gegen höhere Temperaturen zu stärken, gegen zu viel oder zu wenig Niederschlag – dazu müssten viele Gene verändert werden.» Hinzu kommt, dass die Situationen, in denen die Pflanze gedeihen muss, von vielen Faktoren beeinflusst wird. Die Böden reagieren unterschiedlich auf Trockenheit, und die Dauer und Stärke der Trockenphasen ist variabel. Es braucht eine grosse Variantenbreite, die sich im Labor nicht so einfach herstellen lässt.

Es überrascht also nicht, dass der Nutzen des WEMA-Projektes (Water Efficient Maize for Africa) von den Organisationen African Centre for Biodiversity und Third World Network 2017 kritisch beurteilt wurde. Denn die angeblich trockentoleranten GV-Maissorten reduzieren die Ernteverluste bei einer mässigen Trockenheit bloss um 6 Prozent. Ist der Wassermangel ausgeprägter, versagt der GV-Mais komplett. Im Vergleich dazu sind agrarökologische Ansätze ohne Gentechnik bedeutend erfolgsversprechender. Sie erzielen bei Trockenheit eine Reduktion des Ernteverlustes von bis zu 30 Prozent.

Andere Wege versprechen Erfolg

KenyaDie landwirtschaftliche Produktion würde ausreichen, um alle Menschen der Welt zu ernähren. Die Kalorienmenge, die jedem Menschen täglich zur Verfügung steht, stieg von 2716 Kilokalorien (kcal) zur Jahrtausendwende auf 2904 kcal in den Jahren 2015–2017. Selbst in Subsahara-Afrika stehen rechnerisch 2422 kcal zur Verfügung, in Nordamerika und Europa sind es 3485 kcal am Tag (FAO, Landwirtschafts-organisation der Vereinten Nationen). (Bild: Owen/Greenpeace)

Es ist folglich nicht die Gentechnik, die uns helfen kann, den Herausforderungen in der Landwirtschaft der Zukunft zu begegnen. Doch was sonst? Manches klang bei der Beschreibung der Fälle weiter oben bereits an.

Das Third World Network (TWN) folgert: «Die wirkliche Lösung liegt nicht bei hochorganisierter oder industrialisierter Landwirtschaft, sondern bei den BäuerInnen, ihren Feldern und einem selbstorganisierten Saatgutsystem. Ausserdem verfügen die BäuerInnen über spezielle Kenntnisse. Zum Beispiel dazu, wie man gesunde Böden schafft, die während Trockenperioden mehr Wasser speichern können, oder einen guten Anbaumix wählt, der möglichst widerstandsfähig ist, auch bei unvorhergesehenen Wetterverhältnissen.»

Agroökologie heisst das Stichwort. Mit auf nachhaltigem und auf lokalem Wissen basierenden Methoden werden die Felder kleinräumig mit regionalem Saatgut bewirtschaftet. Ein erfolgreiches Beispiel ist ein Projekt des International Centre of Insect Physiology and Ecology (icipe) mit Namen Push-Pull. Biovision schreibt auf ihrer Homepage: «Push-Pull ist eine integrierte, umweltfreundliche und nachhaltige Anbaumethode. Sie steigert die Erträge, indem sie Schädlinge und Unkrautparasiten bekämpft, den Trockenstress vermindert und die Bodenfruchtbarkeit auf natürliche Art und Weise verbessert.» Damit wurden bereits in zahlreichen Gegenden Afrikas in den letzten zehn Jahren Erfolge erzielt, 150 000 BäuerInnen wenden diese Methode heute erfolgreich an.

Auch die Welternährungsorganisation der UN, die FAO, stärkt diese Stossrichtung, Bauern sollen in Anpassung an den Klimawandel eigenständig lokales und regionales Saatgut entwickeln, das direkt an seine Umgebung angepasst ist.

Nachhaltige Produktionsmethoden anderer Art finden sich auch in Europa. Die solidarische Landwirtschaft, die nach ökologischen, sozialen und nachhaltigen Richtlinien funktioniert, findet immer mehr Anhänger.

Ein weiterer Ansatz ist der Umstieg auf alternative Kulturpflanzen, die besser zu den vorhandenen Verhältnissen passen. Hirse zum Beispiel braucht zum Wachsen deutlich weniger Wasser als Weizen. Oder man greift auf alte bereits vorhandene Sorten zurück, die mit ihren Ansprüchen besser an das vorhandene Klima angepasst sind.

Lösungen gibt es viele, hier wurden nur einzelne herausgepickt und kurz vorgestellt. Gentechnisch verändertes Saatgut gehört nicht dazu. Konsumentinnen und Konsumenten sind nicht daran interessiert. Und bis heute resultierten daraus noch keine wirklich erfolgversprechenden Produkte. Für die Landwirtschaft der Zukunft gibt es besser geeignete Ansätze. Doch das Wichtigste ist, dass alle Beteiligten, sei es aus der Wissenschaft oder aus der Praxis, in der Entwicklung von Antworten zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen, Synergien nutzen und einander zuhören. Nur mit vereinten Kräften und in Absprache miteinander kann es zukunftsfähige Lösungen geben.