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(Bild: Luca Schenardi)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 104

Die Genschere macht es möglich

Gentechnisch veränderte Nutztiere sind in der Schweiz zurzeit verboten. Weltweit dürften aber bald für verschiedene Nutztiere Zulassungen beantragt werden. In den Pipelines der Forschungsanstalten befindet sich eine Vielzahl von Projekten. Im Dezember 2018 wurde in Argentinien bereits eine schnellwachsende, genomeditierte Linie des Zuchtfisches Tilapia bewilligt. Die Liste der Wunscheigenschaften, die mit der neuen Gentechnik verwirklicht werden soll, ist lang und sehr vielfältig. Die Agrarindustrie lobbyiert weltweit für eine schwache Regulierung, um ihre Produkte schnellstmöglich auf den Markt zu bringen.

Text: Zsofia Hock

Im Gegensatz zu Kulturpflanzen hatten gentechnisch veränderte Tiere bis vor Kurzem praktisch keine Bedeutung. Bis heute gibt es ausser einem Lachs keine mittels klassischer Gentechnik veränderten Tiere auf dem Markt. Das liegt vor allem daran, dass die Anwendung der alten Gentechnik bei Tieren technisch schwierig und fehleranfällig und deshalb nur begrenzt anwendbar ist.

Die Genschere erleichtert den Prozess der gentechnischen Manipulation nun deutlich. Seit ihrer Entdeckung hat sie sich mit einer beispiellosen Schnelligkeit in fast alle Labore verbreitet. Bald dürften Behörden mit einer rasch zunehmenden Zahl von Zulassungsgesuchen für geneditierte Nutztiere (GE-Tiere) konfrontiert sein. Laut einer Studie des Friedrich-Loeffler-Instituts und des Instituts für Nutztiergenetik wird aktuell an über 70 Eigenschaften geforscht. Etwa 10 Nutztierarten stehen dabei im Fokus. Es wird propagiert, die Genom-Editierung mache die Landwirtschaft profitabler, umweltfreundlicher und gesünder. Ethisch unvertretbare Praktiken in der Nutztierhaltung, wie etwa die Tötung männlicher Küken, deren Aufzucht nicht wirtschaftlich ist, sollen damit gelöst werden.

Doch das ist Augenwischerei. Die Motivation, genomeditierte Nutztiere zu kreieren, ist eher bei rein wirtschaftlichen Zielen zu suchen als beim Tierwohl. «Mehr, schneller und billiger» – diese drei Adjektive beschreiben die Ziele der modernen Intensivhaltung bestens. Tiere sollen eine höhere Leistung erbringen, oft über ihre biologischen Grenzen hinaus: mehr Fleisch in möglichst kurzer Zeit, längere Wollhaare oder geringerer Futterverbrauch. Die Folgen der Massenhaltung sollen mit den neuen Techniken abgemildert werden, möglichst viele Tiere sollen auf einer möglichst kleinen Fläche gehalten werden.

All diese Eingriffe zeigen in Richtung Instrumentalisierung. Deren höchste Stufe stellen Versuche dar, bei denen geneditierte Tiere als Organfabrik für Transplantationen oder zur Erforschung menschlicher Krankheiten verwendet werden. Die Zahl der Tierversuche steigt, und es werden immer mehr Arten als Versuchsobjekte verwendet. Schluss mit der Ära der Laborratten und Mäuse – sogar Primaten sind vermehrt von der Genom-Editierung betroffen. So sorgten kürzlich Klonäffchen mit einem absichtlich hervorgerufenen Gendefekt aus China für Schlagzeilen. Gentechniker haben sie zum Studium von Biorhythmusstörungen erschaffen.

Resistenzgene aus Wildtieren sollen Bestände widerstandsfähiger machen

Fokus 104 Forscher
(Illustration: Luca Schenardi)

Ansteckende Tierkrankheiten sind in der Landwirtschaft weit verbreitet. Aktuell wütet europaweit die afrikanische Schweinepest, die für Schweine tödlich endet. Die Tiermedizin kann die Seuche nicht aufhalten. Deshalb greifen Wissenschaftler nun zur Gentechnik, um Rassen zu entwickeln, die resistent gegen die Krankheit sind. Wildlebende afrikanische Warzenschweine sind resistent gegen das Virus. Verantwortlich dafür ist ein bestimmtes Gen. Dieses wurde als Vorlage benutzt, um das entsprechende Gen im Hausschwein umzuschreiben. Im Sommer 2019 soll überprüft werden, ob die so entstandenen Tiere tatsächlich gegen das Virus geschützt sind. Zahlreiche weitere genomeditierte, resistente Nutztiere sollen folgen. Unter anderem wird an Resistenzen gegen das PRRS-Virus, das für die ökonomisch bedeutsamste Schweinekrankheit verantwortlich ist, die Vogelgrippe und die Rindertuberkulose geforscht.

Doch diese Resistenzen dank Gentech schaffen auch Probleme. Schweinepestresistente GE-Tiere könnten als symptomlose Träger der Krankheit die Viren an nicht-modifizierte Artgenossen weitergeben. Dadurch könnte die Ausbreitung der Seuche beschleunigt, anstatt wie geplant gestoppt werden. Davon wären vor allem gentechnikfreie Betriebe stark betroffen. Im Extremfall könnte dies zum Verschwinden der herkömmlichen Rassen führen. Fraglich ist auch, wie lange die künstlich eingebrachten Resistenzgene vor der Krankheit schützen. Denn der Selektionsdruck auf den Erreger erhöht sich. Er wird gezwungen, sich an die genetische Veränderung anzupassen und so die Resistenz zu umgehen. Ein Teufelskreis, der nur den Entwicklern der GE-Tiere einen Vorteil erbringt.

Hornlose GE-Milchmaschinen – mit Gene Drives zum Tierwohl?

Fokus 104 DominoCRISPR/Cas ermöglicht eine bisher unvorstellbare Eingriffstiefe. Das Erbgut kann dank der Genschere an vielen verschiedenen Stellen gleichzeitig verändert werden. Da nur ein Bruchteil der Wechselwirkungen zwischen den Genen geklärt sind, können solche multiplen Eingriffe Nebeneffekte auslösen, die miteinander interagieren und zu einem unkontrollierbaren Dominoeffekt werden. Einmal in die Umwelt freigesetzt, sind diese Änderungen kaum rückholbar. (Illustration: Luca Schenardi)

Hörner sind in der profitorientierten Milchviehhaltung unerwünscht. Denn wenn man möglichst viele Tiere in den Laufstall sperrt, erreicht man einen wirtschaftlichen Vorteil. Enge Platzverhältnisse führen aber zu aggressivem Verhalten. Um Verletzungen zu vermeiden, muss man den Tieren mehr Platz bieten, doch dies mindert den Profit. Günstiger erscheint es daher, die Tiere dem Haltungssystem anzupassen, notfalls auf Kosten des Tierwohls. Heute werden rund 90 Prozent aller Schweizer Kühe mechanisch enthornt. Der Eingriff hinterlässt dauerhafte Schäden: erhöhte Schmerzempfindlichkeit und Einschränkungen bei der Interaktion mit Artgenossen. Tierschutzorganisationen kritisieren dieses Vorgehen zu Recht.

Mithilfe der Gentechnik sollen nun auf schmerzfreie Weise hornlose Kühe geschaffen werden. So liesse sich die Massenhaltung bequem weiter betreiben. Als Vorlage für die Gen-Editierung dient eine natürliche Mutation, dank der einige Fleischrinderrassen keine Hörner tragen. Diese Rassen bringen aber nur eine mässige Milchleistung. Um die ideale Milchkuh zu erschaffen, müssten die beiden Eigenschaften miteinander kombiniert werden. Mittels klassischer Züchtung würde dies lange dauern. Deshalb wird, bisher erst mit Modellen, simuliert, wie man mittels der mutagenen Kettenreaktion (Gene Drive) dieses Ziel verwirklichen könnte. Dieses Gentechnik-Werkzeug kann nämlich die Häufigkeit der Vererbung so verändern, dass die natürliche Vererbung ausser Kraft gesetzt wird und eine neu eingeführte Eigenschaft an alle Nachkommen vererbt wird.

Das Rezept: Man nimmt Zellen einer leistungsstarken Milchkuh und schaltet darin das Gen, das für die Bildung der Hörner verantwortlich ist, mithilfe von Gene Drives aus. Mittels Klonierung werden aus diesen Zellen hornlose Nachwuchstiere erstellt. Diese werden anschliessend mit den besten Tieren der Hochleistungs-Milchkuhrassen gekreuzt. Das eingebaute Gene Drive sorgt dafür, dass immer ausschliesslich hornlose Nachkommen entstehen. Die perfekte Milchkuh wäre damit erschaffen. Nur: Das Tierwohl und die Würde der Kreatur bleiben dabei auf der Strecke. Denn das Horn ist nicht nur ein überflüssiges Anhängsel der Rinder. Kühe sind sehr sozial und brauchen die Hörner, um die strenge Hierarchie in der Herde immer wieder auszuhandeln. Nur bei Platzmangel im Laufstall stellt dies eine Gefahr dar.

Allergenarm und gesund

CRISPR/Cas9 soll auch Lebensmittel tierischer Herkunft gesünder machen. Schweine mit mehr gesunden Fettsäuren sollen den Fleischkonsum fördern. Tiere sollen als Bioreaktoren zur Erzeugung von Arzneimitteln und Medizinprodukten eingesetzt werden, geneditierte Schafe Milch geben, die das schlaffördernde Melatonin enthält, und Schweine menschliches Serumalbumin zur Behandlung von Lebererkrankungen produzieren.

Da tierische Lebensmittel bei vielen Allergien auslösen, arbeiten mehrere Forschungsgruppen daran, die allergisierenden Proteine aus diesen zu entfernen. Etwa aus Hühnereiern, die bei zwei Prozent der Kleinkinder zu Allergien führen. Das ist vor allem deswegen problematisch, weil viele Standardimpfungen in Eiern hergestellt werden. Ausserdem kommen sie neben Lebensmitteln in vielen Kosmetikprodukten vor. Für die meisten Allergien sind 4 von den rund 40 Proteinen des Eiweisses verantwortlich. Gentechniker der CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation, Australien) haben das gefährlichste dieser Proteine ins Visier genommen. In bakteriellen Systemen haben sie das Gen, das für dessen Produktion verantwortlich ist, mit CRISPR/Cas9 so verändern können, dass das Protein keine allergischen Reaktionen mehr verursachte. Schon träumen die Forscher von geneditierten Hühnern, die allergenarme Eier legen. Nach dem gleichen Prinzip sollen auch Kühe und Schafe geschaffen werden, deren Milch frei ist vom allergisierenden Milcheiweiss Beta-Laktoglobulin.

Tierische Muskelprotze für ein Riesensteak

Fokus 104 SteakDurch Gentechnik lassen sich aussergewöhnlich muskulöse Nutztiere für die Fleischproduktion erschaffen. Damit hoffen die Hersteller vor allem auf mehr Gewinn. Das Tierwohl wird aber bei solchen extremen Züchtungszielen vollständig missachtet. In der Schweiz sind überzüchtete Rassen, wie der Blauweisse Belgier, der von Natur aus eine extreme Fleischveranlagung besitzt, bereits verboten. (Illustration: Luca Schenardi)

Eine neue Schweinerasse mit einem hohen Anteil an besonders geschätzten Fleisch stücken – dank Genom-Editierung soll dieser Traum jedes Züchters bald in Erfüllung gehen. Wissenschaftler lassen sich dabei von der Natur inspirieren. Denn gewisse Tierrassen sind von Natur aus aussergewöhnlich muskulös. Das Geheimnis dieser «Doppellender» ist ein Gendefekt, welcher zu einer reduzierten Produktion von Myostatin führt, was sie wie Bodybuilder aussehen lässt. Myostatin ist ein Protein, das das Muskelwachstum bremst. Wird das Gen, das für die Produktion von Myostatin verantwortlich ist, mittels CRISPR/Cas so verändert, dass weniger davon gebildet wird, kann dieser Zustand nachgeahmt werden. Dazu soll lediglich ein einziges Basenpaar des entsprechenden Gens ausgetauscht werden.

Da die Genschere aber oft nicht nur an der gewünschten Stelle schneidet, können unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Solche Nichtzieleffekte verursachen gesundheitliche Beschwerden. Von der Entwicklung zusätzlicher Rippen über abnormal vergrösserte Zungen bis hin zu Nachkommen, die zu gross für eine natürliche Geburt sind, um nur einige zu nennen.

Diese Veränderungen beweisen, dass die Wirkungsweise der Gene und die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen ihnen nur ansatzweise verstanden werden. Davor warnt sogar Se-Jin Lee, einer der Entdecker des Myostatin-Gens. Ungehemmtes Muskelwachstum ist ein Merkmal sogenannter Qualzucht und daher unethisch. Diese Tiere leiden von Geburt an, das Skelett und die inneren Organe sind von der übertrieben grossen Muskelmasse überfordert. Auch wenn dieses Fleisch an sich unbedenklich sein sollte, ist es fraglich, ob man sich ein solches Schnitzel noch gerne schmecken lässt. Wenn die hohe Leistung die Tiere bereits heute gesundheitlich überfordert, darf die Züchtung nicht noch höhere Ziele setzen. Denn Tiere sind unsere Mitgeschöpfe, nicht Produkte, die der Mensch nach seinen eigenen Wunschvorstellungen verändern darf. Zwar bringen die auf das Extremste gesteigerten Leistungen auf der einer Seite Gewinne, die Verluste andererseits – weniger widerstandsfähige Tiere, hohe Todesraten – zeigen, dass ein solcher Ansatz auch ökonomisch nur kurzfristig wirken kann.