(Bild: Peter Caton/Greenpeace)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 94
Wer die Saat hat, hat das Sagen
Mit den geplanten Fusionen in der Agrarindustrie entstünden drei gigantische Agro- und Chemiekonzerne, die über 60 Prozent des kommerziellen Saatguts und über 65 Prozent der Pestizide beherrschten. Diese Konzentration sei gefährlich, warnen besorgte Organisationen in einem offenen Brief an die EU-Wettbewerbs-kommission. Sie gefährde nicht nur die Arten- und Sortenvielfalt, sondern auch die Ernährungssicherheit.
Text: Denise Battaglia
«Eine Handvoll Konzerne hat sich den Zugriff auf die Welternährung gesichert.» Das ist keine polemische Zuspitzung, sondern das nüchterne, auf Fakten beruhende Fazit der Organisationen Brot für alle und Coordination gegen Bayer-Gefahren in einem Mitte Februar verschickten offenen Brief an die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager. Den Warn- und Weckruf haben 15 weitere Organisationen mitunterzeichnet.
Es werden wohl bald nicht einmal mehr eine ganze Handvoll, sondern nur noch vier Konzerne sein, die künftig bestimmen, was die Bäuerinnen und Bauern auf der ganzen Welt anbauen und was wir alle essen. Die Machtkonzentration in der Saatgutindustrie schreitet mit schwindelerregendem Tempo voran. Die Lage sieht derzeit wie folgt aus:
— Der Staatskonzern ChemChina, das grösste Chemieunternehmen in China, will den Basler Agrokonzern Syngenta kaufen,
— die beiden US-Konzerne DuPont und Dow Chemical wollen fusionieren,
— der deutsche Bayer-Konzern, derzeit der zehntgrösste Chemieproduzent der Welt, bereitet die Übernahme des US-Agrokonzerns Monsanto vor.
Kommen alle Zusammenschlüsse zustande, würden die drei Giganten Bayer/Monsanto, Dupont/Dow, ChemChina/Syngenta über 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes beherrschen. Die drei Konzerne besitzen zudem gemäss dem Konzernatlas 2017 fast alle gentechnisch veränderten Pflanzen und verfügen mit BASF über 37 Prozent aller europäischen Patente auf Pflanzen. «Eine Branche schrumpft sich gross» titelt der Konzernatlas 2017 über die neuen Zusammenschlüsse in der Agrar- und Lebensmittelindustrie.
Wer über das Saatgut verfügt, verfügt über die Ernährung
(Bild: Clipdealer)
«Wer die Saat hat, hat das Sagen», lautet ein Bonmot. Schon jetzt werden für den Weltmarkt immer mehr Hochleistungssorten in immer grösseren Mengen produziert – zulasten der Vielfalt. In Indien werden auf 75 Prozent der Reisfelder nur noch 10 Sorten angeboten. Vor der Kolonialisierung durch die Engländer waren es noch 400 000, bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch 30 000 Sorten, wie in der im Januar erschienenen Studie «Saatgut – Gemeingut» nachzulesen ist. Ein anderes Beispiel: In den USA wachsen auf 71 Prozent der Anbauflächen nur noch sechs verschiedene Sorten Mais, und 96 Prozent der kommerziellen Produktion von Erbsen werden mit gerade mal zwei Sorten erzielt. Es schwindet nicht nur die Vielfalt, auch unser kulturhistorisches Erbe und das Wissen der Bauern über lokale Sorten geht verloren. Die Monopolisierung gefährdet unsere Nahrungsmittelsicherheit.
Herrscher über 65 Prozent des Pestizidmarkts
Bayer/Monsanto, Dupont/Dow, ChemChina/Syngenta und BASF verkaufen auch die wichtigsten Pestizide: Monsanto stellt das vom Grossbauern bis zum Hobbygärtner benutzte Unkrautvernichtungsmittel Roundup mit dem hochumstrittenen Wirkstoff Glyphosat her. Bayer und Syngenta gehören zu den grössten Herstellern von sogenannten Neonicotinoiden, die verdächtigt werden, für das Bienensterben mitverantwortlich zu sein. Die Konzerne würden künftig über 65 Prozent des globalen Pestizidmarktes verfügen. Dass die geplanten Zusammenschlüsse die vom Weltagrarbericht geforderte ökologische Landwirtschaft fördern, darf man gründlich bezweifeln. Mit der gigantischen Schrumpfung kämen die Chemie- und Agrokonzerne ihrem Ziel, «die marktbeherrschende Stellung bei Saatgut und Pestiziden zu erreichen, also Produkte, Preise und Qualitätzu diktieren» näher, schreiben die Autoren des Konzernatlas 2017.
Kontrolle vom «Acker bis zur Ladentheke»
Künftig werden drei Grosskonzerne über 65 Prozent des Pestizidmarkts herrschen. (Bild: Clipdealer)
Die Agro- und Chemiekonzerne versuchten, wie der Konzernatlas aufzeigt, alle Stufen der Lieferkette «vom Acker bis zur Ladentheke» zu beherrschen. Sie mischen vermehrt auch bei der Agrartechnik mit und fordern Zugriff auf die Daten der Landwirtschaft 4.0. Mit Landwirtschaft 4.0 meint man die Digitalisierung der Betriebe: So sollen zum Beispiel künftig Drohnen Pestizide über die Pflanzen sprühen, die Tiere mit Sensoren für Milchmengen, Bewegungsmuster und Futterrationen ausgestattet, Traktoren mit GPS gesteuert werden, und Sensoren im Boden sollen Informationen über die Bodenqualität liefern. Für die grossen Landwirtschaftsmaschinenhersteller, aber auch für die Chemie- und Agrarkonzerne eröffnet sich damit ein immenser Markt – und Zugang zu wertvollen Daten. Gemäss dem Konzernatlas 2017 hat sich zum Beispiel der Traktorbauer John Deere mit Syngenta, Dow und Bayer verbündet, um die Geräte zu entwickeln, die für diese Präzisionslandwirtschaft benötigt werden. Ziel sei, eines Tages das firmeneigene Saatgut mit äusserst präzisen Pflanz- und Messsystemen zu verbinden, was aber auf der anderen Seite die Abhängigkeit der Landwirte von den Grosskonzernen weiter verstärkt.
Die ETC-Group, die sich unter anderem für die Bewahrung und Förderung der kulturellen und ökologischen Diversität engagiert, warnte bereits vor anderthalb Jahren, dass die Megafusionen «die Basis unserer Lebensmittelversorgung» untergraben und die Umwelt weiter schädigen werden. Sie forderte die Politik in einem Communiqué auf, über Kartellverbote dafürzu sorgen, dass Pestizidhersteller nicht auch Saatgut produzieren und Landwirtschaftsmaschinenhersteller nicht gleichzeitig Pestizide, Saatgut und Landwirtschaftsversicherungen kontrollieren dürften. Auch die Absender des offenen Briefs fordern die EU-Wettbewerbskommission auf, das geplante «Oligopol» zu unterbinden. «Dieser Konzentrationsprozess stellt eine Bedrohung für die Welternährung und für die Zukunft der Landwirtschaft sowohl in Europa als auch weltweit dar», schreiben sie.
Saatgut als Gemeingut
«Die grosse Vielfalt der Kulturpflanzen ist ein Menschheitserbe, das wir nicht den Konzernen überlassen dürfen, denen es vor allem um Profitmaximierung geht. Unser Saatgut ist kein Wirtschaftsgut. Es ist ein Kulturgut und gehört uns allen.» Peter Kunz, Bio-Saatgutzüchter (Bild: Giorgio Hösli für GZPK)
Das Saatgut war über viele Jahrtausende ein Gemeingut, das lokal nachgebaut, weiterentwickelt und getauscht wurde. Daran erinnert die Studie «Saatgut – Gemeingut» von Johannes Wirz, Forscher am Goetheanum, Getreidezüchter Peter Kunz und Ueli Hurter, biologisch-dynamischer Landwirt. Noch heute gibt es weltweit viele Züchter und Bauern, die lokale und ökologisch nachhaltige Sorten züchten und anbauen. Eine Studie aus dem Jahre 2015 hat gezeigt, dass die Sortenvielfalt von Kulturpflanzen weltweit von Bäuerinnen und Bauern mit weniger als zwei Hektar Ackerfläche gepflegt, erhalten, getauscht und weiterentwickelt werde. Dort, wo das Saatgut also traditionellerweise noch als Gemeingut betrachtet werde, sei auch die Vielfalt am grössten. Doch diese Vielfalt ist durch die Machtkonzentration der Saatgutbesitzer gefährdet. Die Autoren der Studie «Saatgut – Gemeingut» fordern dazu auf, wieder zu diesem Gemeingutgedanken zurückzukehren, um den Verlust der Sortenvielfalt aufzuhalten und Ernährung etwas unabhängiger von den Agro- und Chemiegiganten zu machen.
Gemeinsame Sorge um das «Menschheitserbe»
Dieser Gemeinschafsgedanke war es auch, der uns Sicherheit und Wohlstand brachte: Dank der Kooperation von Menschen gibt es Bewässerungsanlagen, soziale Institutionen – oder eben über Jahrhunderte weiterentwickeltes, an lokale Gegebenheiten angepasstes Saatgut für Gemüse, Früchte und Obst. «Die grosse Vielfalt der Kulturpflanzen ist ein Menschheitserbe, das wir nicht den Konzernen überlassen dürfen, denen es vor allem um Profitmaximierung geht», sagt Getreidezüchter Peter Kunz. «Unser Saatgut ist kein Wirtschaftsgut. Es ist ein Kulturgut und gehört uns allen.» Zwar müsse der Züchter für seine Züchtungsarbeit – die Züchtung einer neuen Sorte braucht zwischen sieben und zehn Jahren Zeit – entschädigt werden, aber das Saatgut, «die Quelle des Lebens», sollte Nutzergemeinschaften frei zur Verfügung stehen, die es pflegen, bewahren, weiterentwickeln. Die Getreidezüchtung Peter Kunz ist selbst ein Verein, der sich diesem Gemeingutgedanken verpflichtet hat. Sein grosses Vorbild sei Masipag auf den Philippinen, erzählt Peter Kunz (siehe Box unten). «Eine Vielfalt an Sorten ist essenziell, damit sich die Landwirtschaft an die sich verändernden Umweltbedingungen, zum Beispiel an den Klimawandel, anpassen kann und weiterhin gut über die Runden kommt», betont Kunz. Die gemeinsame Sorge um das regionale Saatgut macht auch unabhängiger von den Agrarkonzernen: Statt Hybridsaatgut der Konzerne zu kaufen, welches die Bauern im Folgejahr nicht wiederverwenden können, bauen sie lokale, an hiesige Verhältnisse angepasste, robuste Sorten an, deren Saatgut sie aufbewahren, verwenden und untereinander tauschen können.
Gemeinsam für Saatgut
Masipag ist ein Zusammenschluss von Dorfgemeinschaften, Bäuerinnen und Bauern mit 30 000 Mitgliedern, 23 NGOs, 20 kirchlichen Entwicklungsorganisationen und 15 wissenschaftlichen Partnerorganisationen. Masipag verfügt über beinahe 200 Versuchsfarmen, auf denen sie Saatgut für Reis und Mais züchtet, sowie zwei nationale und acht regionale Vermehrungsbetriebe. Masipag erhält und vermehrt in rund 150 Samenbanken auf den Versuchsbetrieben rund 2500 Reissorten, davon 1290 Masipag-Varietäten und 506 Landsorten, die von 67 Bauern gezüchtet worden sind. Der Tausch der Sorten, die allen interessierten Landwirten zur freien Verfügung stehen, sei weit verbreitet, schreiben die Autoren von «Saatgut – Gemeingut».
Vorsorgeprinzip gefährdet?
Der deutsche Konzern Bayer würde mit der Übernahme von Monsanto der Gigant unter den Grossen. Die Autoren des Konzernatlas 2017 befürchten, dass der neue Riese das europäische Vorsorgeprinzip anfechten könnte. Denn dieses fordert beispielsweise, dass Pestizide keine EU-Zulassung erhalten, bevor nicht nachgewiesen ist, dass sie für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. Ebenso könnte die bisherige Kennzeichnungspflicht von Gentech-Pflanzen in der EU in Frage gestellt werden.