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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 120

Systembasierte Züchtung

Einhergehend mit der aktuellen Debatte über die neuen gentechnischen Verfahren, erfährt die Pflanzenzüchtung eine grosse Aufmerksamkeit. Leider entsteht diese häufig durch unrealistische Erwartungen an die biotechnologische Züchtung, insbesondere in Bezug auf Versprechen zur Anpassung von Pflanzen an klimabedingte Veränderungen. Realistisch betrachtet kann die Gentechnik den beschriebenen Zielen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachkommen. Den Herausforderungen kann jedoch mittels (agrar)ökologischer1 Ansätze der Züchtung unter Einbeziehung des gesamten Agrarsystems realistisch begegnet werden.

Text: Sebastian Kussmann

Die neuen gentechnischen Verfahren, insbesondere die Genomeditierung mittels CRISPR/Cas, werden häufig als Methoden bezeichnet. So fordert die schweizerische Lobby-Vereinigung «Sorten für morgen» «sachgerechte Zulassungsregelung für neue Pflanzenzüchtungsmethoden»2. Die Verwendung der Bezeichnung Methoden ist exemplarisch für ein grundlegendes, weitverbreitetes Missverständnis: Eine Methode ist der zielgerichtete Einsatz von Techniken in einem spezifischen Kontext mit einem definierten Ziel. Techniken hingegen sind lediglich die Art und Weise des Einsatzes bestimmter Instrumente – im Fall der neuen Gentechnik biotechnologische Instrumente – zur Veränderung des Genoms. In der aktuellen Debatte wird über den Einsatz einer Technik diskutiert, nicht über die Ursachen aktueller Probleme der Landwirtschaft. Diese Probleme gründen neben Veränderungen durch den Klimawandel auf Fehlentwicklungen der landwirtschaftlichen Produktion im letzten Jahrhundert. Angesichts der Art und des Umfangs dieser Fehlentwicklungen wirkt der Diskurs über biotechnologische Techniken beinahe absurd – denn der Rückgang der Biodiversität, der Verlust der Bodenfruchtbarkeit, hohe Treibhausgasemissionen, sozial unfaire Wertschöpfungsketten u. a. können nicht mittels biotechnologischer Veränderungen des Genoms behoben werden. Vielmehr ist die unvoreingenommene Analyse der Ursachen notwendig. Erst in einem zweiten Schritt sollte die Diskussion über Methoden und Techniken für deren Behebung erfolgen. Diese Analyse wird jedoch nicht von allen unterstützt, offenbart sie doch potenziell den direkten und indirekten Beitrag einzelner Akteure bei den Fehlentwicklungen. Damit einhergehend müssten Grundsätze der eigenen Arbeitsweise in Frage gestellt werden. Neue Techniken zur Problemlösung anzubieten, ist häufig die einfachere und gewinnbringendere Strategie.

Die Pflanzenzüchtung kann im Prozess des Meisterns von Herausforderungen der Landwirtschaft einen Beitrag leisten – gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern, Konsumentinnen und Konsumenten, Verarbeitung, dem Handel und der Agrarforschung. Dafür stehen ihr verschiedene Techniken zur Erreichung der Zuchtziele zur Verfügung. Die Anwendung der neuen Gentechniken als Teil dieser Techniken ist derzeit mit hohen Kosten und vorherseh- baren und unvorhersehbaren Risiken auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene verbunden. Unter anderem deshalb ist ihr Einsatz für die (agrar)ökologische Züchtung innerhalb der aktuellen Rahmenbedingungen auszuschliessen.3

Ethische Einschätzung neuer Züchtungstechnologien

Kartoffeln
Um die Eignung der Platterbse für die Schweizer Landwirtschaft verlässlich einschätzen zu können, werden mehrjährige Versuche auf verschiedenen Höfen durch geführt. Sollte die Pflanze sich in der Schweiz bewähren, würde die Agrobiodiversität um eine Kulturpflanze erweitert – ein wichtiger Beitrag zur Resilienz des Agrarsystems. Bild: Sebastian Kussmann

Warum erfahren die neuen Gentechniken trotzdem eine solche Öffentlichkeit? Thomas Potthast, Professor für Ethik, Theorie und Geschichte der Biowissenschaften an der Universität Tübingen, führt dieses Phänomen auf die normative Kraft des Fiktionalen zurück: «Oft werden Leistungen künftiger Techniken angenommen (Salz-, Trockentoleranz), ohne deren tatsächliche Realistik und Zeitschema kennen zu können. Es entsteht eine normative Kraft des Fiktionalen, die keine gute Grundlage für rationale Entscheidungen ist. Denn sie führt zu Effekten in der politischen Diskussion, ohne dass klar ist, ob und wann es solche Organismen gibt. Zudem führt es zu ungleicher Forschungsförderung und Pfadabhängigkeiten dessen, was mit Blick auf die Landwirtschaft gefördert wird und was eben nicht.»4

Mit der Gentechnik werden potenzielle Anpassungen von Pflanzen für eine Veränderung der Landwirtschaft in grossen Dimensionen vorangekündigt.5 Gleichzeitig werden empirisch belegte negative Auswirkungen des Anbaus gentechnisch veränderter Organismen in der Vergangenheit und mögliche Konflikte im Zusammenhang mit ökonomischen Interessen ignoriert. Aus Perspektive der agrarökologischen Pflanzenzüchtung ist es trotzdem schwierig, ein argumentatives Gegengewicht zu den mit der Gentechnik verbundenen Versprechen zu bilden. Denn in der systembasierten Agrarökologie gelingt die Entwicklung angepasster Sorten nur mit gleichzeitigen Veränderungen auf mehreren Ebenen des Agrarsystems. Dieser Ansatz setzt auf Erfahrungswerte, hat ein realistisches und klares Zeitschema und bezieht die ökonomische, ökologische und soziale Umwelt der Pflanzen und Menschen in den Entwicklungsprozess mit ein – ein komplexes Vorgehen, welches schwer prägnant und einfach kommuniziert werden kann.

Züchtungsforschung und neue Züchtungsmethoden

Technisch und methodisch hat die agrarökologische Züchtung ein hohes Innovationspotenzial. Züchtungstechniken werden aktuell gern auf biotechnologische Ansätze reduziert, bei denen die Pflanze in der Regel als isolierter Einzelorganismus betrachtet wird. Ihre Performance soll durch klassische Kreuzungszüchtung oder biotechnologische Integration von Genen in ihren funktionellen oder qualitativen Eigenschaften verbessert werden.

In diesem Ansatz werden Erkenntnisse der ökologischen Forschung zu positiven Interaktionen von Pflanzen untereinander und mit anderen Organismen des Agrarökosystems (z. B. Symbiosen mit Mykorrhiza-Pilzen) kaum berücksichtig. Die Einbeziehung der ökologischen Umwelt der Pflanze in den Züchtungsprozess ist jedoch relevant, um Eigenschaften, welche nur aufwendig oder mit Zielkonflikten verbunden in die Pflanze integriert werden können, über das Zusammenspiel der Pflanzen mit anderen Organismen zu erreichen.

Ein Beispiel für positive Interaktionen zwischen Pflanzen ist der Anbau von Erbsen in Mischung mit Getreide. Erbsen knicken vor der Ernte oft ab und erschweren damit das Dreschen. Die Betrachtung der Erbse als isolierte Pflanze führt konsequenterweise zum Zuchtziel kleinere und dadurch standfestere Erbsen. Die Reduktion der Wuchshöhe geht jedoch häufig mit Nachteilen einher; u. a. kann der Druck von Pilzkrankheiten steigen. Ein alternativer Ansatz ist der Anbau der Erbse in Mischung mit einer weiteren Pflanze
(z. B. Gerste oder Weizen). Der Anbau in Mischung erhöht nicht nur die Standfestigkeit der Erbsen, er wirkt sich auch positiv auf den durchschnittlichen Ertrag beider Pflanzen aus. Für den Biolandbau ist die Selektion von Erbsen für den Gemengeanbau ein wichtiges Zuchtziel. Dabei ist neben der Selektion von Pflanzen mit physiologischer Eignung auch
die Einbeziehung der Wertschöpfungskette während des Züchtungsprozesses relevant. Denn mangels entsprechender Infrastruktur stellt die mechanische Trennung von Erbsen- und Gerstenkörnern vielerorts ein Problem dar. Hier müssen technische Lösungen flächendeckend etabliert werden, damit die Infrastruktur für den ökologisch sinnvollen Anbau und die Verarbeitung vorhanden sind. Bäuerinnen und Bauern müssen hierfür durch gezielte Förderprogramme unterstützt werden.

Kulturen im Kontext

Kühe
Im Rahmen des partizipativen Züchtungsprojektes «Klimafenster» der gzpk werden verschiedene Getreidesorten auf dem Hof getestet und durch Bauern und Bäuerinnen selektiert. Bild: Sebastian Kussmann

Erbsen sind nicht nur ein schmackhaftes Nahrungsmittel als Ganzkorn, sie sind auch eine wichtige Quelle für pflanzliche Proteine und damit Rohstoff für viele Fleischersatzprodukte. Somit können sie zur notwendigen Reduzierung des Fleischkonsums beitragen. Gleichzeitig fixieren Erbsen in Symbiose mit Bakterien Luftstickstoff, weshalb auf die Düngung mit synthetischem Stickstoff verzichtet werden kann – ein wichtiger Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen.

Der Erbsenanbau hat aber auch Grenzen. Untersuchungen der Getreidezüchtung Peter Kunz (gzpk) zur Trockenheitstoleranz der Erbse zeigen, dass die Kultur mit Hitze und Wassermangel nur bedingt umgehen kann. Für die Züchtung sucht die gzpk daher nach toleranten Erbsen, z. B. Wildformen. Gleichzeitig werden aber auch andere Körnerleguminosen getestet, welche ergänzend zur Erbse kultiviert werden könnten. Teil dessen sind Versuche mit der Platterbse (Lathyrus sativus), eine in Europa derzeit wenig verbreitete Kulturpflanze. Sie weist geringere Erträge als die Erbse auf, erträgt Hitze und Trockenheit dafür aber sehr gut. Um die Eignung der Platterbse für die Schweizer Landwirtschaft verlässlich einschätzen zu können, werden mehrjährige Versuche auf verschiedenen Höfen durchgeführt. Sollte die Pflanze sich in der Schweiz bewähren, würde die Agrobiodiversität um eine Kulturpflanze erweitert – ein wichtiger Beitrag zur Resilienz des Agrarsystems.

Ebenen der Diversifizierung

Die gzpk setzt sich auf verschiedenen Ebenen für Diversifizierung ein. Im Bereich Getreide werden neben Weizen auch Triticale, Emmer und Dinkel für die menschliche Ernährung gezüchtet. Emmer und Triticale sind als Brot- bzw. Pastagetreide wenig verbreitet. Sie bieten jedoch nicht nur geschmacklich eine Alternative zum Weizen, sondern haben auch interessante agronomische Eigenschaften. Trotz geringerer Erträge und einer für Nischenkulturen vergleichsweise aufwendigen Züchtung ist diese Diversifizierung zur Steigerung der Resilienz des Ackerbaus notwendig. Denn es muss mit vermehrten lokalen Extremwetterereignissen sowie neuen Krankheiten und Schädlingen als Stressfaktoren der Landwirtschaft gerechnet werden. Um diesen begegnen zu können, braucht es ein grösseres Portfolio an angepassten Kulturpflanzen. Dafür ist die züchterische Weiterentwicklung eines breiten Spektrums an Arten und Sorten erforderlich. Die Erhaltung der Vielfalt in Genbanken ist nicht ausreichend: Nur wenn Pflanzen im Züchtungsprozess kontinuierlich an die sich ändernden Umwelt- und Marktbedingungen angepasst werden, steht ihr Potenzial für kurz- bis mittelfristige Anpassungen der Landwirtschaft zur Verfügung.

Im System züchten

Saatgutselektion und -produktion finden in der Schweiz nur noch selten auf Höfen statt. Das spezialisierte, kommerzielle Saatgutsystem bietet zwar hohe Standards in der Sicherung der Saatgutqualität und Sortenreinheit, gleichzeitig weist es bezüglich der Erhaltung und Weiterentwicklung der Biodiversität logistische und ökonomische Grenzen auf. Weniger bedeutende Kulturen sind für grosse Unternehmen nicht interessant: Es besteht ein Zielkonflikt zwischen Vielfalt und ökonomischer Rentabilität. Dieser kann durch die Koexistenz paralleler Strukturen der Saatguterzeugung gelöst werden. Regionale Saatgutarbeit auf Höfen und in Netzwerken muss rechtlich und infrastrukturell ermöglicht und ergänzend zu mittleren und grossen Saatgutunternehmen gefördert werden. Nur wenn Bäuerinnen und Bauern ihr Saatgut von unterschiedlichen Quellen beziehen können und das Recht auf Nachbau haben, kann die Saatgutversorgung zuverlässig gewährleistet werden. Die gzpk verstärkt ihre Zusammenarbeit mit der praktischen Landwirtschaft durch Versuche auf Höfen.

In partizipativen Prozessen werden die Anforderungen und Wünsche aus der Landwirtschaft an die Pflanzen in den Züchtungsprozess einbezogen. Gleichzeitig erhalten die Züchterinnen und Züchter einen Eindruck davon, welche Pflanzen an welche Standorte am besten angepasst sind.6 Ein Beispiel für partizipative Züchtungsprojekte ist das Projekt Körnerleguminosen-Netzwerk, im Rahmen dessen verschiedene Körnerleguminosen auf ihre lokale Angepasstheit und ihre Eignung für das ökonomische Konzept des individuellen Hofs untersucht werden.

Anpassungsfähigkeit erhalten und fördern

Für die Anpassung der Landwirtschaft an aktuelle Herausforderungen besteht akuter Handlungsbedarf. Eine Fehlreaktion wäre jedoch die einseitige Förderung von Technologien, welche schnelle Erfolge versprechen, aber mit hohen Risiken und nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten verbunden sind. Die (agrar)ökologische Züchtung setzt sich für Vielfalt in den Anbau- und Saatgutsystemen ein, um das Potenzial für Anpassungen in der landwirtschaftlichen Produktion langfristig zu erhalten und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die damit verbundenen Züchtungsprozesse erscheinen langwierig, tragen durch ihre Praxisnähe aber zu nachhaltigen Lösungen bei. Sie nutzen ökologische Mechanismen gezielt für die Züchtung und den Anbau, was als Innovation anerkannt und gefördert werden sollte. Der häufig ausbleibende Transfer neuer Entwicklungen in die Praxis ist durch die Kooperationen mit der Landwirtschaft fester Bestandteil des Züchtungsprozesses. Die gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sollten dieses System der Kulturpflanzenentwicklung nicht nur ermöglichen, sondern auch langfristig fördern.

1 Agrarökologie bezieht sich auf das Konzept der Europäischen Koordination von La Via Campesina, www.viacampesina.org/en/evenstad-declaration/, www.eurovia.org/wp-content/uploads/2022 /04/Agroecology_EN.pdf

2 www.sortenfuermorgen.ch/medienmitteilung/ sachgerechte-zulassungsregelung-fuer-neue-pflanzenzu- echtungsmethoden-noetig/

3 Siehe u. a.: Montenegro de Wit M. 2021 Can agroecology and CRISPR mix? The politics of comple- mentarity and moving toward technology sovereignty. Agriculture and Human Values 39: 733-755.

4 www.abl-ev.de/fileadmin/Dokumente/AbL_ev/ Gentechnikfrei/Hintergrund/AbL_Broschuere_gentech- nik_B5_Doppelseiten-WEB6_FINAL.pdf, S. 34

5 Siehe u.a.: www.bayer.com/de/the-big-ag-short

6 Siehe u.a.: Lammerts van Bueren, ET, et al. 2018 Towards resilience through systems-based plant bree- ding. A review. Agronomy for sustainable development 38: 42