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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 122
Genomeditierung ist keine «Präzisionszüchtung»
Deregulieren heisst das neue Zauberwort in der gegenwärtigen krisengeschüttelten Welt. In Grossbritannien hat die Regierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der darauf abzielt, die regu–latorischen Kontrollen im Zusammenhang mit der Genomeditierung zu schwächen oder gar aufzuheben. Er trägt den Namen «Genetic Technology (Precision Breeding) Bill». Auch in der EU haben verschiedene Gruppen, die sich für die Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren einsetzen, den Begriff Präzisionszüchtung übernommen, um die neue Gentechnologie zu beschreiben.
Text: Zsofia Hock und Paul Scherer
Im September dieses Jahres wandten sich 80 namhafte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik mit einem offenen Brief gegen die Deregulierungsabsichten und die dabei verwendeten Begrifflichkeiten. Der Begriff Präzisionszucht zur Beschreibung der Genomeditierung sei sowohl technisch wie wissenschaftlich ungenau und führe daher das Parlament, die Regulierungsbehörden und die Öffentlichkeit in die Irre. Gemäss ihrer persönlichen Fachkompetenz sei Genomeditierung einerseits nicht präzise und andererseits entspreche sie nicht der allgemeingültigen Definition von Züchtung, schreiben sie.
Was es mit der Präzision auf sich hat
«Der einzige Aspekt bei der Genomeditierung, der präzise ist, ist der anfängliche Doppelstrangschnitt in der DNA, der auf eine bestimmte Stelle ausgerichtet werden kann. In den verschiedenen Phasen des gentechnischen Eingriffs treten jedoch auch verschiedene Arten von unbeabsichtigten Schäden auf, sowohl an der beabsichtigten Editierstelle (on target) als auch an anderen Stellen im Genom des Organismus (off target)», sagt der britische Biotechnologe Michael Antoniou, der den offenen Brief initiiert hat.
Was bedeutet der Begriff Züchtung
Als Dozent für Molekulargenetik und Leiter der Genexpression and Therapy Group am King’s College London verfügt Antoniou über langjährige Erfahrung in der Erforschung der molekularen Mechanismen der Genregulation. Er stützt sich auf zahlreiche von Experten begutachtete Studien, die auf unbeabsichtigte genetische Veränderungen durch die neuen Verfahren hinweisen. Eine Durchsicht der aktuellen Literatur zeigt vor allem auch, dass sich die durch Genomeditierung hervorgerufenen Veränderungen von solchen unterscheiden, die bei der konventionellen Züchtung (zwischen sexuell kompatiblen Organismen) auftreten, einschliesslich der sogenannten Mutagenese-Züchtung. Denn durch die Technik der Genomeditierung wird das gesamte Genom für Veränderungen zugänglich, während bei den obengenannten Züchtungsprozessen einige Regionen des Genoms vor Mutationen geschützt sind. Wie jüngste Forschungen an Pflanzen bestätigen, sind dies Bereiche des Genoms, die an überlebenswichtigen Prozessen des Organismus beteiligt sind. Diese Erkenntnisse stehen im klaren Widerspruch zur Behauptung gentechnikbefürwortender Kreise, mit einer Genschere induzierte Mutationen seien nicht von natürlichen zu unterscheiden. Bei der Genomeditierung handelt es sich um eine künstliche gentechnische Veränderung im Labor, die einen direkten Eingriff des Menschen in das Genom beinhaltet (siehe Abbildung auf Seite 9). Es sei folglich offensichtlich, dass dieses Verfahren keine Ähnlichkeit habe mit Züchtung, wie sie normalerweise definiert und verstanden werde, heisst es im offenen Brief an die Behörden in Grossbritannien.
Gentechnische Veränderungen beim Leindotter wirken sich auf das gesamte Nahrungsnetz aus, an dem er teilhat – etwa auf Bestäuber–insekten, die sich von seinem Nektar und Pollen ernähren. Wird die Fettsäurezusammensetzung vom Leindotter gentechnisch angepasst, kann dies einen Einfluss auf die Lernfähigkeit der Bienen haben, welche die Blüten der Pflanze besuchen (Bild: Wikipedia).
Beschönigende Begriffe sind Bestandteil einer Marketingoffensive der Gentechnikindustrie
Besonders seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH im Juli 2018, die neuen Gentechnikverfahren seien Gentechnik und gemäss den gültigen Gentechnikrichtlinien zu regulieren, versuchen Gentechnikin–dustrie und -forschung mit aufwendigen und wohl auch teuren Marketing–kampagnen Öffentlichkeit und Aufsichtsbehörden weltweit davon zu überzeugen, dass die Technologie der Genomeditierung natürlich, genau, kontrollierbar und daher sicher sei. Argumentiert wird dabei mit Begriffen und Verkürzungen, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Hinter dem Versuch, die fundamentalen Unterschiede zwischen Gentechnik und traditioneller Züchtung zu verwischen, verbirgt sich insbesondere auch die Absicht, die Reichweite von Patenten auszudehnen, so dass diese sich auf alle Organismen (Pflanzen oder Tiere) mit der im Patent beschriebenen Eigenschaft erstrecken.
Vielfältige Fehlerrisiken vs. Abschaffung der unabhängigen Risikoprüfung
Sich einen Überblick zu verschaffen, was Genomeditierung beinhaltet, ist in der Tat viel komplexer, als dies von industrienahen Forschenden gemeinhin dargestellt wird. Die neue Gentechnik beschränkt sich nicht auf die meistumschwärmte Genschere CRISPR/Cas9. Gemäss Recherchen1 der deutschen Fachstelle Gentechnik und Umwelt (FGU) dominieren seit 2014 Projekte mit der Genschere CRISPR/Cas9 die marktorientierten Vorhaben bei Pflanzen (174 Studien). Es wurden aber auch neuere Verfahren, wie CRISPR/Cpf18, CRISPR/Cas13a und Base Editing verwendet und selbst die älteren zielgerichteten Schneideenzyme, TALENs (künstliche sequenzspezifische Restriktionsenzyme) und Zinkfinger-Nukleasen, wurden genutzt, wenn auch zu einem geringeren Anteil. Ungefähr 80 % aller Genomeditierungsversuche verwendeten das Bakterium Agrobacterium tumefaciens, um die genetische Information zur Bildung der Genschere in die pflanzlichen Zellen einzuschleusen, rund 10 % den Partikelbeschuss. Beide Verfahren wurden bereits bei der klassischen Gentechnik verwendet und können bekanntlich unbeabsichtigte Fehler im Erbgut verursachen. Nur ein geringer Anteil (ca. 1 %) schleust die Genschere als bereits gebildeten Enzymkomplex ein. Ein Hintergrundpapier der FGU zeigt, dass jede der unterschiedlichen Anwendungen dieser Techniken mit eigenen spezifischen Risiken verbunden ist. Eine Recherche auf Google Scholar zeigt, dass die Genomeditierung bei weitem nicht so weit entwickelt ist, wie dies gerne dargestellt wird. Allein im Jahr 2021 wurden über 10 000 Studien zum Thema Verbesserungen der Genschere publiziert. Bereits kleinste Veränderungen mit der Genschere können auch ohne Einfügung von artfremder DNA (Transgen) Genfunktionen so beeinflussen, dass Stoffwechselwege und Inhaltsstoffe erheblich verändert werden, besonders wenn sie mehrfach und in Kombination durchgeführt werden (sogenanntes Multiplexing). Daraus resultieren neue, nicht vorhersehbare Risiken wie beispielsweise die Produktion neuer Toxine oder Allergene. Ob respektive welche Auswirkungen solche Veränderungen auf ein Ökosystem haben, in dem Pflanzen Teil eines Nahrungsnetzes sind und mit verschiedenen anderen Organismen in wechselwirkenden Beziehungen stehen, ist nur mit einer umfassenden Prüfung feststellbar.
Risikoprüfung: Prozessorientiert statt produktbasiert
Dieser mangelnde Wissensstand zu den Risiken spricht für die Anwendung strengerer Vorschriften bei der Zulassung genomeditierter Pflanzen und Tiere und keinesfalls für eine Abschwächung. Würde die Risikoprüfung den Herstellern überlassen, könnte dies dazu führen, dass unsichere Produkte auf dem Markt landen. Ein Beispiel hierfür ist der genomeditierte Stier Buri2. Mit ihm wollte eine US-Firma hornlose Kühe für den brasilianischen Markt züchten. Doch dann entdeckten Forschende der US-Lebensmittelbehörde FDA, dass Buri in seinem Erbgut neben der Änderung, die zur Hornlosigkeit führt, zusätzlich auch Antibiotikaresis–tenzgene besitzt, die aus Bakterien stammen und beim Herstellungspro–zess aus technischen Gründen in die Zellen eingeführt worden waren. Von der Herstellerfirma war dies nicht entdeckt oder nicht kommuniziert worden.
Dasselbe Risiko besteht auch bei genomeditierten Pflanzen, wie Studien bei Mais, Reis und Soja belegen, bei denen die genetischen Informationen der Genschere CRISPR/Cas mit Hilfe des Agrobakteriums eingeschleust wurde3.
Da solche unentdeckten Veränderungen im Genom die Lebensmittel–sicherheit beeinflussen können, ist eine unabhängige, staatliche Sicherheitsprüfung unerlässlich. Eine verantwortungsvolle Risiko–beurteilung nach dem Vorsorgeprinzip kann nur dann durchgeführt werden, wenn den Regulierungsbehörden eine genaue Charakterisierung eines jeden Produktes vorgelegt wird, das auf den Markt gebracht werden soll. Je genauer Herstellerfirmen den Entstehungsprozess dokumentieren müssen, desto besser kann bei einem Zulassungsantrag die Risiko–prüfung durchgeführt werden. Wie das Beispiel des Stiers Buri zeigt, ist dabei zu berücksichtigen, dass in den allermeisten Fällen eine Kombination von Techniken der alten und der neuen Gentechnik eingesetzt wird und neue Produkte mit den Fehlern beider Techniken behaftet sein können.
In Grossbritannien wurde daher die Forderung erhoben, dass der Begriff «precision breeding» ( Präzisionszüchtung) aus dem Titel des Gesetzent–wurfs gestrichen und durch eine korrekte und rein beschreibende Termi–nologie ersetzt werden müsse. Dies gilt nicht nur für Grossbritannien. Weltweit sollten Regierungen und Regulierungsbehörden dazu angehalten werden, die Verwendung von irreführenden Marketingbegriffen zur Beschreibung der neuen Gentechnik zu vermeiden und stattdessen wissenschaftlich und technisch korrekte Begriffe mit allgemein anerkannten Definitionen zu verwenden.
Die «normative Kraft des Fiktionalen» am Beispiel der Schweiz
Wie erfolgreich solche (Des-)Informationskampagnensein können, zeigt das Beispiel Schweiz. Bereits bevor im Herbst 21 im Parlament darum gestritten wurde, ob bei der Verlängerung des Gentechnikmoratoriums, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, auch die neuen Gentechnikverfahren eingeschlossen seien, lancierten die Gentechnikindustrie und die mit ihr verbandelten Wissenschaftskreise mit der Online-Plattform Science-based.ch eine aufwendige Werbekampagne, die sich solch vereinfachter Begriffe und Definitionen bediente, ohne transparent zu deklarieren, wer die Kampagne finanzierte. Ihre Argumente: Die Verfahren seien präzise und sicher. Bis 2050 brauche es eine Steigerung der Nahrungsmittel–produktion um 50 %, dies sei nur durch Innovation – welche mit Gentechnik gleichgesetzt wird – möglich. Wenig später wurde von Detailhandel und Produzentenorganisationen die Internetsite «Sorten für morgen» aufgeschaltet. Mit Erfolg. Die Medien berichteten ausführlich, der Ständerat kippte und verhinderte, dass die Moratoriumsverlängerung uneingeschränkt auch für die Genomeditierung gilt, wie dies zuvor der Nationalrat beschlossen hatte.
1 Hintergrundpapier: CRISPR/Cas – Beschreibung der Möglichkeiten. Fachstelle Gentechnik und Umwelt. www.fachstelle-gentechnik-umwelt.de/wp-content/uploadsFGU_Hintergrundpapier_Moeglichkeiten3.pdf
2 Gentechnik bei Tieren – Boom durch Genomeditierung, Studie SAG und Schweizer Tierschutz 2022. www.gentechfrei.ch/de/themen/nutztiere/3070-tierstudie
3 Hintergrundpapier: 2. Teil der Risiken: Inhärente Risiken von CRISPR/Cas Anwendungen, Fachstelle Gentechnik und Umwelt. www.fachstelle-gentechnik-umwelt.de/wp-content/uploads/FGU_CRISPR_Risiken2.pdf