Bei einer Deregulierung wird bei der Hälfte aller neuen Sorten mindestens eine mittels NGV entstandene Eigenschaft zu finden sein – und somit jede solche Saatgutsorte durch mindestens ein Patent geschützt sein. Bild: Shutterstock
Mit den neuen Gentechnikverfahren ist das Versprechen verbunden, dass neu auch kleine Züchtungsunternehmen von dieser Technologie profitieren können. Somit soll die lang kritisierte Monopolposition der Agrarmultis gebrochen werden. Von den Gentechnikbefürwortenden wird dies als wichtige Errungenschaft im Vergleich zur klassischen Gentechnik dargestellt. Doch dabei wird ein wichtiges Hindernis ausgeblendet: nämlich die Patente, die auf die neue Technologie und auf deren Produkten erteilt werden und die Arbeit der Züchter:innen massiv behindern. Eine Deregulierung der neuen Gentechnikverfahren (NGV) würde die negativen Folgen der Patente auf die Züchtung nur verstärken und unsere Ernährungsgrundlage, die Umwelt und die Sicherheit der Konsumierenden gefährden.
Worauf können Patente erteilt werden? Um die NGV in der Pflanzenzucht einzusetzen, muss man sich Zugang zu einer ganzen Reihe von Patenten erschaffen. Nicht nur die verschiedenen Anwendungen und Methoden der NGV in der Pflanzenzucht können patentiert werden. Patente können auch auf genetische Sequenzen und auf die durch den gentechnischen Eingriff entstandenen neuen Eigenschaften (wie etwa Herbizidtoleranz) erteilt werden, vorausgesetzt, dass letztere neu sind und in der Natur nicht bereits vorkommen. Vom Patentschutz sind mit genomeditierten Organismen hergestellte Produkte (bspw. Bier, das mit genomeditierter Gerste hergestellt wurde) ebenfalls betroffen. Pflanzensorten selbst können zwar nicht patentiert, dafür aber durch ein Sortenschutzzertifikat (UPOV) geschützt werden, wenn die Sorte neu, nachweislich unterscheidbar, ihrem Typ entsprechend homogen im Erscheinungsbild und bezüglich ihrer massgebenden Merkmale beständig ist. Das Züchterprivileg erlaubt zwar die Nutzung durch Sortenschutz geschützter Sorten als Ausgangsmaterial für die Züchtung weiterer Sorten auch ohne Zustimmung des Züchters. Doch wenn eine Sorte zusätzlich vom Patentschutz betroffen ist, wäre eine Verwendung als Ausgangsmaterial mit enormen Kosten verbunden.
Teure Kommerzialisierungslizenzen – ein Mittel zur Kontrolle unserer Ernährungsgrundlagen Die Behauptung der Gentechlobby beruht auf einer Halbwahrheit. Solange die Projekte in der Phase der Grundlagenforschung bleiben, kann die Genschere tatsächlich günstig eingesetzt werden. Lizenzen für die Vorlaufforschung und Forschungslizenzen für geplante Anwendungen sind relativ günstig und somit auch für KMU bezahlbar. Doch in der Phase der Kommerzialisierung wird es plötzlich sehr teuer. Gebühren für kommerzielle Lizenzen und solche auf Produktverkäufen sind sehr hoch. Um eine neue Sorte zu vermarkten, müssen sich Züchter:innen mehrere Lizenzen sichern, mit den verschiedenen Patentinhaber:innen Lizenzgebühren aushandeln und einen Teil ihres Umsatzes an den/die Patentinhaber:in zahlen. In dieser Phase werden die Entwickler, typischerweise KMU, von den grossen Konzernen aufgekauft. Dass Patente und Lizenzgebühren den Markteintritt kleiner Unternehmen hemmen, bestätigt auch eine neue Studie der Europäischen Kommission.
Eine Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren (NGV) bringt also keine Demokratisierung des Biotech-Markts. Eine lockere Regulierung der NGV bildet vielmehr einen Hebel zur Absicherung der marktbeherrschenden Stellung einiger Weniger. Letztere ist auch ein wichtiger – wenn auch verschwiegener – Motor der Entwicklungen mit den NGV im Bereich der Landwirtschaft. Mittels Patenten können die Konzerne Kontrolle über die Grundlagen der Ernährung erlangen, andere Zuchtunternehmen blockieren und höhere Profite erreichen – auf Kosten der Bäuer:innen, kleinen Züchter:innen, der Vielfalt und der Ernährungssicherheit. Bereits kontrolliert die „Corteva-Gruppe“ – ein Agrarriese, der aus der Fusion der Konzerne Dow AgroSciences und DuPont/Pioneer entstanden ist – den Gentechnikmarkt durch ein Patentkartell auf CRISPR/Cas. Zusätzlich zu ihren eigenen Patenten bestimmt diese Gruppe auch den Zugang zu weiteren Patenten, die in der Züchtung für die Anwendung der CRISPR/Cas-Technologie benötigt werden. Um die neue Gentechnologie vollumfänglich in der Pflanzenzucht einsetzen zu dürfen, muss ein Unternehmen Zugang zu über 40 Grundlagenpatenten haben.
Unterschiede Gentechnik/Züchtung verwischen – Strategie zur Ausweitung der Reichweite von Patenten In vielen Patentanträgen, auch in Europa, wird inzwischen darauf abgezielt, die fundamentalen biologischen und technischen Unterschiede zwischen Gentechnik und traditioneller Züchtung zu verwischen. Somit kann die Reichweite der Patente derart ausgeweitet werden, dass sie sich auf alle Organismen (Pflanzen oder Tiere) mit der im Patent beschriebenen Eigenschaft erstrecken, unabhängig davon, wie diese erzeugt wurden. Die rechtlichen Unsicherheiten und die Kosten, die mit diesem Prozess verbunden sind, würden die gentechfreie Pflanzen- und Tierzucht erheblich negativ beeinflussen.
Die Strategie der Verwischung der Unterschiede zwischen traditioneller Züchtung und Gentechnik widerspiegelt sich in der Debatte um die Regulierung der neuen Gentechnikverfahren. Um eine Deregulierung zu erreichen, versuchen industrienahe Interessengruppen, die an der Anmeldung der Patenten beteiligt sind, diese Unterschiede auch in Bezug zum Gentechnikgesetz infrage zu stellen. So wird anstatt neuen Gentechnischen Verfahren von «neuen Züchtungsverfahren» geredet, und die «minimale», natürlicher Punktmutationen gleichende Art der Eingriffe in den Vordergrund gestellt – von möglichen Risiken und Unsicherheiten wird geschwiegen. Die mit der Deregulierung angestrebte weniger strenge Risikoprüfung reduziert die Verantwortung der vermarktenden Firmen im Hinblick auf die Gesundheits- und Umweltsicherheit ihrer Produkte. Dies geht jedoch auf Kosten der Sicherheit der Konsumierenden und der Umwelt, weshalb eine Risikoprüfung unabdingbar ist.
Kurzfristige Gewinninteresse hinter Patentanmeldungen gefährden Umwelt und Natur Eine Deregulierung – wie sie sich die grossen Agrarkonzerne wünschen, erhöht den Druck auf die bereits leidenden Ökosysteme enorm. Die Laufzeit der Patente beträgt zwanzig Jahre. Dies befeuert die kurzfristigen Gewinninteressen der Herstellerfirmen und motiviert sie dazu, möglichst schnell eine möglichst grosse Menge an patentiertem Saatgut verkaufen zu wollen. Wird dies nicht verhindert, werden die natürlichen Ökosysteme innerhalb kurzer Zeit durch eine steigende Anzahl von Gentech-Organismen überschwemmt. Einmal in die Natur freigesetzt, ist die gentechnische Veränderung kaum rückholbar. Sie kann an verwandten Kultur- und Wildarten übergeben werden und somit die Vielfalt der genetischen Ressourcen – unsere Ernährungsgrundlage – gefährden.
Was bedeutet eine Deregulierung für die Zukunft der gentechfreien Züchtung? Wenn immer mehr Länder die NGV deregulieren und ohne Kennzeichnungspflicht, umfassende Risikoprüfung und Nachweisverfahren zulassen, wird bei der Hälfte aller neuen Sorten mindestens eine mittels NGV entstandene Eigenschaft zu finden sein – und somit jede solche Saatgutsorte durch mindestens ein Patent geschützt sein, bestätigt der Patentanwalt Michael Kock mit langjähriger Erfahrung bei Syngenta. Bis heute sind kaum Produkte der NGV auf dem Markt. Doch die Erteilung von solchen Patenten erlebt bereits einen Boom, der diese Prognose bestätigt.
Von den Folgen einer solchen Öffnung – einer wachsenden Anzahl von Patenten auf die Anwendungen neuer gentechnischen Verfahren in der Pflanzenzucht und dessen Produkte – wäre auch diejenige Züchtung zunehmend bedroht, die bewusst auf Gentechnik verzichtet. Damit ginge der Erfolg jahrzehntelanger Züchtungsarbeit verloren. Dies gilt es mit einer strengen Regulierung der neuen gentechnischen Verfahren unter dem Gentechnikgesetz zu verhindern.
Züchter:innen befürchten bereits, dass sie bei der Wiederverwendung von Produkten gewisser Saatgutunternehmen Patentrechte verletzten könnten, und machen deshalb lieber einen grossen Bogen um diese – selbst wenn es sich dabei um Produkte handelt, die mit konventionellen Züchtungstechniken hergestellt wurden. Die freie Wahl und die Wiederverwendung des Saatguts der Züchter:innen und Bauer:innen dürfte so zunehmend eingeschränkt werden. In der Schweiz wird der Bundesrat gerade in einer Motion der ständerätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) beauftragt, die patentrechtlichen und – sofern notwendig – sortenschutzrechtlichen Grundlagen so anzupassen, dass im Bereich der Pflanzenzucht die Transparenz betreffend Patentrechte verbessert und das Klagerisiko verringert wird, damit Pflanzenzüchtungsunternehmen vor Beginn einer langjährigen Züchtung wissen, ob das entsprechende Zuchtmaterial von Patenten betroffen ist. Immerhin, doch die grundsätzlichen Probleme, welche durch gentechnische verändertes und patentiertes Saatgut verursacht werden, bleiben bestehen.