Globale Ernährungssicherheit schaffen – Politische Massnahmen statt gentechnologischen Quick Fixes nötig (Bild: M. Abnodey, via Unsplash)
Gentech-Befürworter führen häufig das Argument an, mithilfe der Technologie eine wachsende Bevölkerung in Zeiten des Klimawandels ernähren zu wollen. So soll globale Ernährungssicherheit geschaffen sowie weltweit Hunger und Mangelernährung ein Ende bereitet werden. Doch dieses Argument trägt der Realität kaum Rechnung. In ihrem Artikel erklärt die Wissenschaftlerin Jennifer Clapp des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems, warum Technologie (allein) keine Lösung für die globale Ernährungssicherheit ist und was stattdessen getan werden sollte.
Das eigentliche Problem: Verteilung und Zugang
Weltweit sind mehr als 700 Millionen Menschen von Hunger betroffen, während 2,3 Milliarden unter Ernährungsunsicherheit leiden. Unter Ernährungsunsicherheit versteht man dabei, dass der Zugang zu sicheren, nahrhaften und ausreichend Lebensmittel nicht (dauerhaft) gesichert ist.
Tatsächlich ist Hunger keine Frage der mangelnden Produktion von Lebensmitteln, sondern der Verteilung und des Zugangs. Weltweit werden genügend Nahrungsmittel produziert, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Doch viele dieser Nahrungsmittel werden anderweitig verwendet: Sie werden als Viehfutter exportiert, zur Herstellung von Biokraftstoffen verwendet, oder zu hochverarbeiteten Lebensmitteln weiterverarbeitet. Nicht zuletzt wird auch ein grosser Teil der Nahrungsmittel – knapp 20% – in privaten Haushalten, der Gastronomie und im Einzelhandel verschwendet.
Der Grund für diese Fehlverteilung liegt u. a. in wirtschaftlichen Interessen grosser Lebensmittelkonzerne. Hunger geht mit Armut einher. Viele Menschen können sich Lebensmittel nicht leisten bzw. haben nicht die Ressourcen, um diese selbst herzustellen. Lebensmittel an diese armen Bevölkerungsschichten zu verkaufen ist wenig profitabel und daher uninteressant. Stattdessen werden mit den produzierten Nahrungsmitteln lukrativere Märkte erschlossen.
Grundursachen von Hunger
Die Ursachen für Hunger liegen also deutlich tiefer als das häufig angenommen und in Zusammenhang mit (gen)technologischen «Quick Fixes» dargestellt wird. Hunger entsteht vor allem in Folge grosser Ungleichheiten bei Reichtum, Macht und Zugang zu Land.
Auch Konflikte spielen eine zentrale Rolle. Globale «Hunger-Hotspots» sind oft Kriegsgebiete, in denen Hunger auch als perfide Waffe eingesetzt wird.
Alles eine Frage des politischen Willens
Darum, so schreibt Clapp, müssen diese eigentlichen Ursachen angegangen werden – um Hunger zu beenden, sind politischer Wille und politische Massnahmen nötig.
Neben Lösungsstrategien für Konflikte und Nicht-Tolerieren von Hungertaktiken in Konfliktzonen sollten vor allem Massnahmen zur Beseitigung von ausgeprägten Ungleichheiten an erster Stelle stehen.
So gelang es beispielsweise in Brasilien mithilfe von finanzieller Unterstützung, Ernährungsprogrammen an Schulen und Mindestlohnrichtlinien, in nur 18 Monaten die Anzahl an Personen, die von starker Ernährungsunsicherheit betroffen sind, um 85% zu reduzieren.
Um die globale Ernährungssicherheit nachhaltig zu gewährleisten, bedarf es, Clapp zufolge, einer strengen Kartell- und Wettbewerbspolitik. So könne man die Macht und Konzentration von Unternehmen in der globalen Lebensmittelkette vom Saatgut bis zum Einzelhandel eindämmen und für erschwingliche Lebensmittel sorgen.
Weiterhin müssten ungerechte Handels- und Exportregelungen durchbrochen werden, um so arme Regionen aus einem Abhängigkeitsverhältnis zu befreien. Stattdessen sollte auf lokale, widerstandfähige Lösungen (z.B. agrarökologische Ansätze) gesetzt werden.
Auch in der Schweiz sind Änderungen nötig
Um den Wandel zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem zu ermöglichen, muss auch die Schweiz einen Beitrag leisten und das eigene Ernährungssystem anpassen. Neben den bereits erwähnten Massnahmen beginnt der Wandel mit mehr Selbstversorgung durch die eigene Landwirtschaft. Dies kann dazu beitragen, dass Länder, aus denen bisher importiert wird, mehr Lebensmittel für die Versorgung ihrer Bevölkerung haben. Das wiederum bedeutet, die regionale Schweizer Lebensmittelproduktion zu stärken und einen bewussten Konsum tierischer Produkte zu praktizieren. Denn viel Futtermittel wird aus dem Ausland importiert und belegt somit Landwirtschaftsfläche, die nicht für die Produktion von menschlichen Lebensmitteln vor Ort genutzt werden kann und auch innerhalb der Schweiz geht viel Fläche für die Futterproduktion verloren.
Was bedeutet das für die neue Gentechnologie?
Die neue Gentechnik geht die genannten Ursachen nicht an. Der Beitrag, den sie zur Bekämpfung von Hunger und zur Schaffung von Ernährungssicherheit leisten kann, ist daher äusserst fraglich.
Mehr noch: Sie fördert ein industrielles Landwirtschaftssystem, das nicht auf lokale Angepasstheit oder Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Zudem sind Pflanzen der neuen Gentechnik häufig mit Patenten belegt und werden von grossen Agrar- und Biotechnologieunternehmen vermarktet. Daher ist davon auszugehen, dass sich die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse entlang der Lebensmittelkette verstetigen und sogar weiter ausprägen.
Die neue Gentechnik ist keine Lösung für Ernährungssicherheit. Denn ohne politische Massnahmen, die gerechtere und nachhaltigere Lebensmittelsysteme fördern und gegenüber dem Profit grosser Konzerne priorisieren, kann globalem Hunger – trotz möglicher technologischer Fortschritte – kaum ein Ende bereitet werden.