S 1 FeuersalamanderDer in seinen Beständen gefährdete Feuersalamander wird durch eine eingeschleppte Pilzkrankheit bedroht. Forschende möchten sein Erbgut mit einem Gene Drive so verändern, dass er immun gegen den Pilz wäre. Bild: Fotolia  

Dank neuer Verfahren haben Forschende ein Werkzeug in der Hand, das schon bald die genetische Manipulation ganzer Populationen von wild lebenden Tieren und Pflanzen ermöglichen könnte.*

Stellen Sie sich vor, für die Bekämpfung der Infektionskrankheit Borreliose würden alle wild lebenden Mäuse in der Schweiz gentechnisch verändert. Würden Sie es gutheissen, dass alle Feu­er­sa­la­mander der Schweiz gentechnisch verändert würden, um sie vor dem Aussterben zu retten?

Zwei Fragen, die auf den ersten Blick unwirklich klingen. Doch ein Blick in die Forschungslabore zeigt, dass wir in Zukunft mit solchen Fragen konfrontiert werden könnten. Forschende haben nämlich eine neue Methode entwickelt, die es auf einfache Art möglich machen könnte, das Erbgut wild lebender Pflanzen und Tiere mit Gentechnik zu manipulieren.

Genannt wird die Methode Gene-Drive-Technik oder Mutagene Kettenreaktion. Zum Durchbruch verhelfen könnte der Idee ein neues Gentechnikinstrument namens Crispr/Cas9, das ebenfalls erst seit kurzem bei Forschenden und Medien für Aufregung sorgt. Denn mit Crispr/Cas9 lassen sich leicht, schnell und günstig Gene Drive-Genkonstrukte herstellen, mit denen die Regeln der Vererbung und der natürlichen Selektion ausgehebelt werden kön­nen. Nach den mendelschen Regeln, wie sie die meisten aus dem Biologie-Unterricht kennen wird nur ein Teil der Gene jedes Elternteils an die Nach­kom­men weitervererbt. Und im Erbgut einer Population können sich diese Gene nur halten, wenn sie keine Nachteile bringen.

Populationen mit neuen Eigenschaften

 Diese Regeln liessen sich durch Gene Drives aushebeln. Das synthetische Genkonstrukt würde sich im Erbgut eines Tieres oder einer Pflanze verankern, sich selbst in alle Chromosomensätze des Erbgutes kopieren und damit an fast alle Nachkommen weitervererbt werden. Somit würde sich die neue Eigenschaft in der gesamten Population einer Art verbreiten, selbst wenn sie einen Nachteil bringen würde. Die Konsequenz: Die einmalige Freisetzung einiger weniger Pflanzen oder Tiere mit Gene Drives aus dem Labor reicht aus, um eine Kettenreaktion auszulösen, an deren Ende alle Mitglieder ihrer Population die Eigenschaft aus diesem Gene Drive im Erbgut tragen. Mit der potenten Technik könnten Forschende steuern, was mit der veränderten Population passiert. Sie können Gene Drives so konstruieren, dass die Population am Ende der Ketten­reak­tion ausgelöscht wird. Oder, dass die Population mit oder gar dank einer neuen Eigenschaft überlebt.

So sollen Stechmückenarten, die Krankheiten wie die Malaria oder das Gelbfieber auf den Menschen übertragen, dezimiert oder gar ausgerottet werden. Auch landwirtschaftliche Schädlinge, wie beispielsweise die in die Schweiz eingewanderte Kirschessigfliege, könnten dereinst mit Gene Drives bekämpft werden. Mäuse wiederum sind im Visier der Forschenden, weil sie ein Reservoir für den Borreliose-Erreger bilden und damit laufend dafür sorgen, dass die Bazillen in Zecken und von dort in Menschen gelangen. Da ein Gen bekannt ist, das Mäuse immun gegen Borrelien macht, planen Forschende, dieses Gen mithilfe eines Gene Drives ins Erbgut wild lebender Mäuse einzubringen, um damit das Reservoir der Erreger auszutrocknen. Auch über die Rettung bedrohter Arten, wie des Feuersalamanders, denken die Forschenden nach. Der bereits in seinen Beständen gefährdete Lurch wird in Europa zusätzlich durch einen aus Asien eingeschleppte Pilzkrankheit bedroht. Die Idee der Forschenden: Das Erbgut des Feuersalamanders mit einem Gene Drive auszustatten, das ein Gen in sich trägt, das immun gegen den Pilz macht.

Verblüffende Anwendungsideen

Auch Pflanzen haben die Forschenden im Visier. So soll es mit Gene Drives möglich werden, die Ausbreitung invasiver Arten zu stoppen. Eine weitere, etwas abwegig anmutende Idee: Mithilfe von Gene Drives sollen Unkräuter, die in den Gentechnikfeldern der USA resistent gegen Glyphosat geworden sind, wieder anfällig für das Herbizid gemacht werden.

Die Idee, mit Crispr/Cas9 Gene Drives herzustellen, ist noch keine zwei Jahre alt. Doch in amerikanischen und europäischen Labors sind bereits die ersten Lebewesen mit Gene Drives ausgestattet worden. Gelungen ist dies bei Hefen, Fruchtfliegen und zwei Steckmücken-Arten der Gattung Anopheles. Bei weiteren Tieren wie Mäusen, Tigermücken, Fadenwürmern und Kir­sches­sig­flie­gen sind Projekte geplant oder bereits in der Testphase. Wann die ersten Gene Drive-Lebewesen soweit sind, um für Testzwecke in der Umwelt freigesetzt zu werden, darüber gehen die Meinungen auseinander. Während die einen Forschenden meinen, dass dies bereits in ein, zwei Jahren der Fall sein dürfte, gehen andere davon aus, dass es noch etliche Jahren dauern wird. Die Gründe dafür, sehen sie dabei nicht nur in der Technik, die noch zu verfeinern ist, sondern auch in der mangelhaften staatlichen Gesetzgebung, die vor Freisetzungen erst noch an die neue Technik anzupassen ist.  

Nicht nur Gentech-Kritiker warnen

So wirkungsvoll die Gene Drive-Technik einmal sein könnte, so unkontrollierbar dürften auch die Folgen sein, wenn etwas schiefgeht. Nicht nur Gentechnik-Kritiker warnen deshalb vor einer vorschnellen Entwicklung der neuen Technik, sondern teilweise auch Forschende, die selber mit der neuen Technik experimentieren. Fragen, die sie sich stellen lauten: Was wäre, wenn der Gene Drive aus dem Labor im Laufe der Zeit selbst mutiert und so unbeabsichtigte Wirkungen hätte? Was würde passieren, wenn der Gene Drive an nahe Verwandte übertragen würde? Könnte die Reduktion oder Ausrottung einer Population nicht unvorhergesehene Folgen haben? Sorge bereitet den Forschenden aber auch, dass für Experimente entwickelte Gene-Drive-Organismen entweichen könnten und sich ungewollt und und unwiderruflich in einer Wildpopulation ausbreiten. Forschende fordern deshalb nicht nur strenge Sicherheitsmassnahmen für etwaige Frei­setzungs­ver­suche, sondern auch für das Arbeiten mit solchen Organismen im Labor.

Um das Entweichen von Gene-Drive-Organismen zu verhindern, hat eine Gruppe von 27 Forschenden kürzlich in der Zeitschrift Science einen Standard vorgeschlagen, der im Labor eingehalten werden soll.

Die eingebaute Rückwärtstaste

Eine der vorgeschlagenen Sicherheitsmassnahmen: Beim Arbeiten mit einem Gene Drive soll immer ein zweiter Gene Drive mitentwickelt werden, mit dem sich - im Sinne einer Undo-Taste – der erste Drive überschreiben liesse. Anders formuliert: Ein „Rettungs-Drive“, der losgeschickt werden könnte, wenn der eigentliche Drive abhaut und Amok läuft.

Und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) denkt über solche Rückhol- und Schutzmassnahmen nach. In den USA hat die National Academy of Science Ende letzten Jahres ein Komitee zur Gene-Drive-Technik einberufen, das Vorschläge ausarbeiten soll, wie der Staat den Umgang mit Gene Drive-Organismen im Labor und bei Freisetzungen regulieren soll.

Dass sich die Forschenden, die bisher in diesem Bereich arbeiten, um Sicherheit und Transparenz bemühen und sich auch freiwillig Beschränkungen auferlegen, ist löblich, dürfte aber nicht ausreichen. Denn die Debatte zeigt, dass nicht alle Forschenden diese Bedenken teilen. Und sie erachten es folglich auch nicht als zwingend notwendig, strenge Sicherheitsmassnahmen einzuhalten.

Staatliches Handeln ist gefragt

Die gegenwärtige Gesetzgebung für den Umgang mit GVO erweist sich für Gene-Drive-Organismen weder ausreichend noch passend. "Nun müssen sich die nationalen Regulierungsbehörden und inter­na­tio­na­len Organisationen darum kümmern und die Lage wirklich in den Griff be­kom­men", meint etwa der Politikwissenschaftler Kenneth Oye vom Mas­sachusetts Institute of Technology. "

Eine der Behörden, die sich bereits mit dem Thema befasst, ist das niederländische Umweltministerium. Es hat abklären lassen, ob hinsichtlich der Regulierung von Gene-Drive-Organismen Handlungsbedarf besteht. Ein Expertenbericht des Ministeriums zeigt auf, dass die gegenwärtige Methodik der Risikoabschätzung für Gene-Drive-Organismen nicht geeignet ist. Es wird geraten, alle Arbeiten mit Gene- Drive-Organismen im Labor bewilligungspflichtig zu machen. Eine brisante Erkenntnis des Berichts: Beim Arbeiten mit Crispr/Cas9 könnte unbeabsichtigt ein Gene Drive hergestellt werden. Auch wenn dies nur selten passieren dürfte, rät der Bericht, doch vorbeugend rechtliche Massnahmen zu erarbeiten.

Aktuell besteht also bereits Handlungsbedarf bei der Regulierung der Forschung im Labor. Längerfristig sind zudem dringend die Bestimmungen bei Freisetzungen anzupassen.

Auch in der Schweiz. Denn die Regulierungen hierzulande, gleichen denen der EU. Der Bericht aus den Niederlanden weist darauf hin, dass die Behörden mit dem bestehenden Meldesystem nicht zwingend mitkriegen dürften, ob und wer mit Gene Drives arbeitet.

In der Schweiz sind gemäss Auskunft des Bundesamtes für Umwelt BAFU Versuche, in denen Organismen mit Gene Drive verwendet werden, wie alle Tätigkeiten mit GVO, melde- und bewilligungspflichtig. Derzeit seien keine Versuche mit Gene Drives bekannt. Zu diskutieren wäre eventuell auch, ob der Geltungsbereich des bestehenden Moratoriums über die Landwirtschaft anzupassen wäre.

Öffentliche Diskussion gefordert

Laut einem umfassenden Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag dürften die möglichen ökologischen Konsequenzen und die Fragen der Regulierung von Gene-Drive-Anwendungen eines der hochkontroversen Themen der kommenden Jahre werden. Bisher führen die Forschenden die Debatte weitgehend unter sich. Eine gesellschaftliche Diskussion fehlt, ist aber angesichts der weitreichenden Folgen der neuen Technik dringend notwendig. Es bräuchte einen gesellschaftlichen Konsens, über den Einsatz und die Grenzen von Gene Drives, bevor die Technik entwickelt wird.

Kevin Esvelt, ebenfalls Professor am MIT, forscht selber mit Gene Drives. Er fordert, dass Sicherheitsstandards ausschliesslich von Regierungen und NGOs entwickelt werden, um zu verhindern, dass Interessenkonflikte griffige Regeln behindern. Am besten nicht nur national, sondern gleich international. Schliesslich scheren sich gentechnisch veränderte Mäuse, Lurche, Fliegen und Mücken nicht um Landesgrenzen.

 * Dieser Artikel erschien im April 2016 im GFI Nr. 89