webfingerGentechnische Verfahren hinterlassen Narben in der Zelle. Das Muster dieser Narben ist so individuell wie ein Fingerabdruck und dieser digitale Fingerabdruck wird von den Herstellerfirmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch ein Patent zu schützen – „ganz im Sinne der Natur“.

Beim Entscheid des Europäischen Gerichtshofes, die neuen Gentechnikverfahren dem Gentechnikrecht zu unterstellen, spielte die Frage der Risikoeinschätzung eine zentrale Rolle. Fürsprecher der Gentechnik plädieren mit einer aggressiven Kommunikationskampagne für eine weitgehende Deregulierung der Genom-Editierung. Der Entscheid des EuGH wird als „unwissenschaftlich und innovationsfeindlich“ bezeichnet und Regulierungsbefürworter, welche eine konsequente Anwendung des im Umweltrecht verankerten Vorsorgeprinzips fordern, werden beleidigt.

Der Europäische Gerichtshof EuGH hat im Juli entschieden, dass Organismen, die mit neuen gentechnischen Verfahren wie der Genschere CRISPR-Cas erzeugt wurden, unter das europäische Gentechnikrecht fallen. Somit müssen Pflanzen, deren Erbgut mit solchen Methoden verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen gekennzeichnet und geprüft werden. Das Urteil sorgte auf Seiten der Befürworter der neuen Verfahren für heftige Reaktionen und einen gehässigten Ton.

In der Medienberichterstattung wird ein einseitiges Zerrbild eines absolut sicheren und präzisen, „natürlichen“ Verfahrens vermittelt. Möglichen Risiken und grundsätzliche ethische Fragen, werden kaum diskutiert. Argumente der kritischen Seite, unter denen sich nebst Konsumenten auch zahlreiche Fachspezialisten und Forscher befinden, kommen bei den meisten Medienberichten deutlich zu kurz.

„Ein biologisches Textverarbeitungsprogramm“

Am häufigsten wird mit der Präzision der neuen Verfahren geworben und der Entscheid des Europäischen Gerichtshofes als unlogisch apostrophiert und hinterfragt: wie könnte eine hochpräzise Technologie riskanter sein als frühere, unpräzise Techniken? Buchstaben des Genoms zu editieren, zu löschen oder auszutauschen, wie mit einem Textverarbeitungsprogramm, das tönt leicht. In Wirklichkeit gibt es aber viele Stolpersteine. Der oft gebrauchte Vergleich hinkt. Nukleotide sind keine Buchstaben eines Textes, die nach Belieben gelöscht oder ausgetauscht werden können, sondern Moleküle die eine oft komplexe Auswirkung auf andere Moleküle und somit auf den ganzen Organismus haben. Es gibt viele komplexe Interaktionen zwischen den Genen und die daraus resultierenden Proteinen, welche die Aktivität anderer Gene regulieren, aber auch zwischen dem Organismus und der Umwelt. Die Epigenetik hat zudem das Dogma gekippt, dass die Eigenschaften eines Organismus durch das vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt werden. Heute weiss man, dass Umweltveränderungen das Erbgut beeinflussen: Äussere Faktoren bestimmen im Zellkern, ob und in welchem Ausmass bestimmte Gene ein- und ausgeschaltet werden. 

Wird ein einzelnes Nukleotid gelöscht oder ersetzt, kann dies also auf vielen verschiedenen Ebenen etwas bewirken. Einige Veränderungen werden sogar nur unter bestimmten agro-ökologischen Umständen sichtbar. Noch kennen die Forscher nur einen Bruchteil der involvierten Prozesse und noch weniger haben sie diese unter Kontrolle. Wenn man beim Vergleich mit dem Textverarbeitungsprogramm bleibt, wäre dies, als ob der Anwender der Software die Grammatik bzw. die im Text verwendete Sprache kaum oder gar nicht beherrschen würde. Präzise bedeutet also nicht unbedingt sicher.

fur fokus websiteÄhnlich wie bei der Entschlüsselung der Qumran-Texte mit Bruchstücken noch nicht entzifferter hebräischer Schriftzüge werden beim Genom-Editing wenig bekannte Informationen - Gensequenzen, deren Auswirkungen auf das gesamte Organismus nur teilweise entschlüsselt sind - in den noch unbekannten Kontext des Genoms verschoben.

Die Genschere gleicht eher eine Kräuterhacke

Der oft gebrauchte Begriff „molekulare Genschere“ vermittelt eine trügerische Botschaft über die Präzision der Methode. Die Funktion „Ausschneiden“ arbeitet zwar relativ präzise und der Ort des Doppelstrangbruchs kann ziemlich genau festgelegt werden. Da die gleichen Gensequenzen auf einem Chromosom aber meist mehrfach vorhanden sind, und da Genscheren wie Cas9 aber auch schneiden, wenn keine absolute Übereinstimmung vorliegt, kommt es häufig zu mehreren Schnitten. Schwierigkeiten bereitet die Reparatur der getrennten Stränge. Sie werden meistens zufällig wieder zusammengefügt, unabhängig von ihrer Sequenz (=nicht-homologe Endverknüpfung. Dies kann zu Nichtzieleffekten (Off-Target) führen. Wesentlich seltener kommt es zur effizienteren Genreparatur durch homologe Rekombination, wodurch die Lücke korrekt geschlossen werden kann.

Déjà vu - Recycelte Slogans und Versprechen

Paradoxerweise nehmen Industrienahen Biotechnologen das verfestigte negative Image der alten Gentechnik-Pflanzen auf, um für die Vorzüge der neuen Gentechnik zu werben. Produkten der klassischen Gentechnik, für die sie selber sich über 20 Jahre eingesetzt haben, werden plötzlich Risiken für Umwelt und Gesundheit attestiert, die nun behoben würden.

Auffallend merkwürdig wird es, wenn man das Rad der Zeit 20 Jahre zurückdreht und die damaligen Werbeslogans der Industrie anschaut. „Wir müssen die Welt ernähren“ und „Anpassung an den Klimawandel“, stand auch damals ganz oben auf der Liste. Genau die gleichen Lösungsstrategien werden auch heute propagiert, mit der gleichen Wortwahl. Doch, wenn man einen Blick auf die Ergebnisse wirft, die die Gentechnik seit ihrem Anfang geliefert hat, sieht man, dass die Erfolge recht mager geblieben sind. Im Fokus der Forschung stehen noch immer dieselben wenigen Kulturpflanzen und Eigenschaften, wie beispielsweise Herbizidresistenzen. Doch die klassische Gentechnik hat es nicht geschafft, eine trockenheitstolerante Pflanze zu kreieren - und das ist auch von den neuen Methoden nicht zu erwarten, da diese komplexe Eigenschaft von über 100 Stellen im Genom mitreguliert wird.

„Von der Natur inspiriert“

Eine beliebte Werbetaktik der Industrie ist es, die neuen gentechnischen Verfahren mit der Geschichte der Pflanzenzüchtung zu verknüpfen. Mit dem Ziel, diese sicherer und natürlicher erscheinen zu lassen. In diesem Sinne wird sehr auf die entsprechende Wortwahl geachtet und interne Kommunikationsstrategien empfehlen statt von neuen gentechnischen Verfahren von neuen Züchtungsverfahren zu sprechen.

Besonders gerne wird der Begriff „gezielte Mutagenese“ gebraucht. Damit wird auf die klassische Mutagenese angespielt, die nicht der Gentechnik-Richtlinie der EU unterliegt. Damit wird suggeriert, dass Genscheren wie CRISPR-Cas Pflanzen hervorbringen, die sich von konventionellen Züchtungen kaum unterscheiden lassen, und daher auch von der Gentechnikregulierung ausgenommen werden sollten. Oft wir auch auf die vermeintlich fehlende Nachweisbarkeit der technisch induzierten Mutationen verwiesen und es wird behauptet, diese hätten auch in der Natur entstehen können und sie liessen sich nicht von natürlichen Veränderungen unterscheiden. Tatsächlich hinterlassen die neuen gentechnische Verfahren im Genom jedoch spezifische Narben. Diese sind nachweisbar und könnten zum Nachweis einer künstlichen Mutation beigezogen werden. Das Muster dieser Narben ist wie ein digitaler Fingerabdruck. Er wird von den Herstellerfirmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch Patente zu schützen – „ganz im Sinne der Natur“.

„Angsthasen auf Kreuzzug gegen die Wissenschaft“

Diejenigen, die sich für eine unregulierte Zulassung der Verfahren einsetzen, drohen mit dem Schreckensgespenst, dass es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Europa keine moderne und international konkurrenzfähige Pflanzenzucht mehr möglich sei. Diese werde durch das Vorsorgeprinzip unzulässig einschränkt. Das Industriefreundliche CRISPR Journal fordert die Wissenschaftler dazu auf „als Evangelisten in einer, von gefälschten Nachrichten und Wissenschaftsskepsis geprägten Medienlandschaft...die Akzeptanz von Wissenschaft und Technik zu fördern“. Wie Wissenschaftler von der Industrie finanziell unterstützt und für die Zwecke der Industrie eingespannt werden, belegen die sogenannten Monsanto-Papers (>Glossar).

Was dabei gerne verschwiegen wird, ist der Fakt, dass die neuen gentechnischen Verfahren nicht den einzigen und ultimativen Weg zur Innovation sind. Stattdessen sollte vielmehr auf die bisher unterfinanzierte alternative Forschung gesetzt werden, die schon tragfähige Ergebnisse geliefert hat und nachhaltigere, realistischere Lösungen bietet. Am Beispiel der USA zeigt sich, dass eine Deregulierung nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Trotz „Forschungsfreiheit“ können sie nicht mehr praktische Anwendungen oder bessere Ergebnisse vorweisen.

Risiken und Ethik

Das rasante Tempo, mit dem sich die molekularbiologischen Werkzeuge entwickeln, und das wirtschaftliche Potenzial, das die Techniken besitzen, bergen grosse Risiken. Neben rechtlichen Auslegungen stellen sich damit auch grundsätzliche ethische Fragen.

Ein Grund des Disputes, der auf das EuGH-Urteil folgte, liegt darin, dass die Befürworter der neuen Gentechnik Organismen grundsätzlich anders definieren als Kritiker. Während die ersteren einen reduktionistischen Ansatz vertreten und Pflanzen auf ihre Gene und die daraus resultierenden Stoffe reduzieren, die einzeln und gezielt verändert und geprüft werden können, betrachten letztere Organismen als komplexes System, das in Wechselbeziehung mit seiner Umwelt steht. Dementsprechend fordern sie eine umfassende Risikobewertung statt eines evidenzbasierten Nachsorgeprinzips (Glossar>).

Risikoforschung bei landwirtschaftlichen Anwendungen steht aber nicht im Interesse der Industrie. Sie verfolgt ein wirtschaftliches Ziel und eine möglichst schnelle Vermarktung ihrer Produkte. Trotz zahlreicher Hinweise auf potentiell negative Folgen der Gentechnik auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, werden diese als unbedeutend dargestellt oder vertuscht. Anders in der Medizin, wo unerwünschte Effekte der neuen Verfahren unbestritten sind und Risikoprüfung und Frühwarnung ein must.

Statt Überzeugungsarbeit im Sinne der Industrie zu leisten, sollten Wissenschaftler Verantwortung übernehmen und sich den gesellschaftlich wichtigen Fragen der Risikoforschung widmen: Unsicherheiten und Zusammenhänge aufdecken, unerwartete Effekte untersuchen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollten in die öffentliche Diskussion eingebracht werden, um Entscheidungsprozesse zu verbessern und die Wahlfreiheit zu unterstützen. Ohne eine solche vorsorgeorientierte, unabhängige und transparente Risikoforschung können staatliche Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt nicht hinreichend erfüllt werden. Dies steht im Einklang mit der Empfehlung der Ethikkommission EKAH im Hinblick auf die Regulierung neuer gentechnischen Verfahren. Die EKAH fordert, dass das Konzept der Vorsorge rechtlich gestärkt und konsequent umgesetzt werden muss.

 Unbenannt1Das Sequenzieren ist in den letzten zehn Jahren sehr viel günstiger geworden. Doch es kommen Kosten hinzu, die nicht vergessen werden dürfen. Patente müssen bezahlt werden, Computerprogramme, die die enormen Datenmengen verarbeiten und auswerten können. Auch der Zugang zu Datenbanken über den genetischen Hintergrund der Pflanzen ist kostspielig. Kleine Unternehmen können sich so viel Aufwand kaum leisten und wenn doch, sind sie prädestiniert, von den grossen Konzernen aufgekauft zu werden.

Dieser Artikel erschien im GFI Nr. 102