Gentechnik reduziert den Pestizidverbrauch nicht. Stattdessen verstärkt sie die Abhängigkeit der Landwirtschaft von wenigen internationalen Agrarkonzernen. Bild: Clipdealer.
Im kommenden Jahr soll über die Regulierung der neuen gentechnischen Verfahren entschieden werden. Die Agrarindustrie verstärkt ihre Lobbyaktivität und wirbt unter dem Vorwand des Umweltschutzes für eine weniger strenge Regulierung. Dies zeigen zwei aktuelle Beispiele.
Der Nationalrat hat am 12.12.2019 eine, von Beat Jans eingereichte parlamentarische Initiative (19.430) abgelehnt, die den Einsatz von Pestiziden via Gewässerschutzgesetz verbieten wollte. Es wurde argumentiert, dass die bestehenden Schutzmassnahmen bereits einen ausreichenden Schutz bieten. Die Industriegruppe Agrar, die Pflanzenschutzexperten grosser Agrarunternehmen, u.a. BASF, Bayer und Syngenta Schweiz vereinigt, hat sich vor der Abstimmung in einem Brief an die Mitglieder des National- und Ständerates gewendet und die Ablehnung der Initiative gefordert. Der Grund: diese soll innovationshemmend sein und zudem verhindere sie den Einsatz genomeditierter Pflanzen, die als nachhaltigere Alternative zu Pestiziden beworben werden. Unter diesem Vorwand hat die Gruppe versucht, Druck in Richtung Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren auszuüben. Wieder wurde damit argumentiert, dass die Grundlagenforschung an der strengen Regulierung leiden und letztlich scheitern könnte.
Doch die Einstufung der neuen Gentechnikverfahren im Sinne des EuGH-Urteils vom 25. Juli 2018 als Gentechnik schadet nach der Beurteilung der SAG der Innovation nicht. Die Grundlagenforschung wird dadurch keinesfalls negativ betroffen oder verlangsamt. Stattdessen schafft eine Regulierung unter dem Gentechnikgesetz Klarheit für die Forschenden und stimuliert die Forschung und die Innovation entsprechend den Interessen der Konsumierenden. Diese wünschen eine gründliche Risikobewertung zum Schutz von Mensch und Umwelt vor den potentiellen Risiken dieser neuen Technologien. Die damit ebenfalls vorgeschriebene eindeutige Kennzeichnung sichert die Wahlfreiheit der KonsumentInnen.
Es ist zu betonen, dass das Argument, die Gentechnik reduziere den Pestizidverbrauch, nicht bewiesen ist und eine Behauptung bleibt. In den 30 Jahren des Gentechnikeinsatzes in der Landwirtschaft konnte nach einer anfänglichen Verringerung des Pestizideinsatzes ein plötzlicher Anstieg beobachtet werden. Dies ist durch die industriellen Anbausysteme bedingt, für die Gentech-Pflanzen konzipiert sind. Demgegenüber bieten agrarökologische Ansätze, die auch vom Weltklimarat und der Welternährungsorganisation FAO unterstützt werden, nachweislich effektivere, umweltschonende Lösungen, die keine Abhängigkeiten von grossen Konzernen schaffen.
Diese Sichtweise teilt auch der Bundesrat, der auf dem Vorsorgeprinzip basierend, am 27.11.2019 die von der liberalen Fraktion der FDP eingereichte Motion zur Deregulierung der Genomeditierung (19.4050: «Genomeditierung zugunsten der Umwelt ermöglichen») abgelehnt hat.
Sessionsinfo der Schweizer Agrarindustrie - November 2019
Zur abgelehnten Motion 19.4050 - "Genomeditierung zugunsten der Umwelt ermöglichen"
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN
Warum ist Vorsicht geboten?
Auch dieser Antrag zur Entlassung genomeditierter Pflanzen aus dem Regelungsbereich der Gentechnik hätte der Genomeditierung den Weg ebnen sollen, um ihr vermeintliches Potential als Alternative zum Einsatz von umweltbelastenden Pflanzenschutzmitteln in der Lebensmittelproduktion zu entfalten. Die ablehnende Haltung des Bundesrates entspricht dem Vorsorgeprinzip – der Leitlinie der Umweltpolitik.
Die Vorsicht ist begründet: bei den neuen gentechnischen Verfahren fehlt eine «history of safe use». Die Folgen der Freisetzung genomeditierter Organismen in die Umwelt zeigen sich erst nach längerer Zeit und sind dann nicht mehr rückholbar. Angesichts der möglichen Gefahren dieser Techniken plädieren sogar die Entdeckerinnen der Genschere CRISPR/Cas für eine strenge Regulierung. Vorsicht heisst aber nicht Verbot: Grundlageforschung darf weiterhin ungehindert betrieben werden. Vor einer geplanten Vermarktung müssen die Produkte der Technologie aber gründlich und transparent auf Risiken untersucht werden, um Konsumierenden und Umwelt den bestmöglichen Schutz zu garantieren. Wie man dem Brief der Agrarindustrie entnehmen kann, ist die Branche an einer gründlichen Risikoprüfung nach wie vor nicht interessiert. Ihr Ziel ist es, ihre Produkte möglichst schnell vermarkten zu können, oder wie sie formulieren, «die neuen Methoden schnell und einfach für Landwirte erreichbar zu machen.»
Gentechnik ist keine nachhaltige Alternative zu Pestiziden
Anstatt die Ursachen der heutigen landwirtschaftlichen Probleme zu beseitigen, behandelt die Gentechnik lediglich Symptomen. Teure, patentierte Produkte und Organismen erhöhen die Abhängigkeit der LandwirtInnen von wenigen grossen multinationalen Agrarunternehmen. In industriellen Anbausystemen verlieren resistente Gentechpflanzen schnell ihre Wirkung. Es handelt sich also um Produkte, die geplant kurzlebig sind. Davon profitiert zwar die Industrie, die immer wieder neue Produkte lancieren kann, LandwirtInnen und Konsumierende aber kaum. Ein radikaler Paradigmenwechsel, wie ihn verschiedene internationale Berichte fordern (u.a. IAASTD, IPES) ist also dringend nötig.
Die Gentechnik hat bis heute keine neuen Sorten gebracht, die mit weniger Chemie auskommen würden. Eher das Gegenteil trifft zu. Gentech-Pflanzen sind für den industriellen Anbau in grossen Monokulturen konzipiert. Aufgrund der fehlenden genetischen Vielfalt sind diese anfällig für Schädlinge und Krankheiten und daher auf Pflanzenschutzmittel angewiesen. Wie der Weltagrarbericht und die Welternährungsorganisation FAO zeigen, braucht es statt Gentechpflanzen eine Wende in der Landwirtschaft hin zu Agrarökologie, eine auf Vielfalt basierte und bereits bewährte, systemorientierte Praxis, welche den Ertrag umweltfreundlich und nachhaltig ohne den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel oder resistenter Gentechpflanzen steigern lässt. Statt in teuren Technologien mit fraglicher Wirkung zu investieren sollten Forschung und Innovation im Bereich der Agrarökologie und der biologischen Landwirtschaft unterstützt werden.
Ein solcher Systemwechsel ist aus der Sicht der Agrarindustrie, die ihr Geschäftsmodell nicht ändern und ihre patentierten Produkte weiterhin möglichst schnell vermarkten will, wenig vorteilhaft. «Die Landwirtschaft braucht alle verfügbaren Innovationen und Technologien, die eine ressourcenschonende und nachhaltige Produktion ermöglichen», heisst es in ihrem Brief an das Parlament. «Nur durch Innovation kann dafür gesorgt werden, dass die natürlichen Ressourcen geschont, die Risiken der Pestizidanwendung minimiert und der ökologische Fussabdruck der Lebensmittelherstellung reduziert werden. Präventive Massnahmen, wie Fruchtwechsel, Bodenbearbeitung und Sortenzüchtung allein reichten für einen effektiven Schutz nicht aus», behauptet die Industriegruppe. Sich auf diese Aussagen stützend fordert sie, dass die Grundlageforschung durch eine «angemessene», sprich weniger strenge Regulierung begleitet und unterstützt wird, die eine schnelle Vermarktung der Produkte der neuen Technologien nicht verhindert. Doch diese Denkweise ist keine Lösung für die Herausforderungen, mit denen sich die Landwirtschaft heute konfrontiert sieht.
Auch wenn technischer Fortschritt, wie die im Brief ebenfalls erwähnte Früherkennung des Schädlingsdrucks durch digitale Innovation durchaus zur Reduzierung der Pestizideinsatz beitragen kann, bietet die Technologie oft nur Teillösungen und das in der Logik und im Kontext der industrialisierten Landwirtschaft. Derzeit gibt es keine gesicherten Informationen, welche die Behauptung belegen würden, der Verbrauch von chemischen Pflanzenschutzmitteln könne durch Genom Editierung bzw. gentechnisch eingebaute Resistenzen drastisch reduziert werden. Dass Gentechpflanzen neue Gefahren statt Lösungen schaffen, beweist der Fall der insektengiftproduzierenden Bt-Pflanzen. Das Gift des Bakteriums Bacillus thuringiensis, das solche GV-Pflanzen freisetzen, hätte sie gegen Insektenschädlinge schützen sollen und dafür sorgen, dass die Pestizidbelastung abnimmt. Doch genau das Gegenteil passierte. Denn solche Pflanzen geben das Gift nicht nur permanent in die Umwelt ab, wo es auch Nützlingen schadet. Ihre Wirksamkeit ist zeitlich auch begrenzt. Denn werden Schädlinge dauerhaft einem Gift ausgesetzt, fördert dies das Überleben derjenigen, die eine natürliche Resistenz dagegen entwickeln. Dieses Phänomen erklärt warum es bei Gentechpflanzen im Vergleich zu gentechfreien Sorten schnell zur Zunahme des Pestizidverbrauchs kommt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bt-resistente Baumwollkapselbohrer führten zu grossen Ernteverlusten in Indien, was viele Landwirte in den Suizid getrieben hat. Mit der Verbreitung resistenter Schädlinge können die Bt-Bakterien, ein effektives Pflanzenschutzmittel im ökologischen Anbau, zudem von Bio-Landwirten nicht mehr eingesetzt werden.
Auch gentechnisch eingefügten Resistenzen bieten keine nachhaltige Lösung. Denn in den meisten Fällen handelt es sich um Resistenzen, die nur von einem Gen bestimmt werden. Krankheitserregern können diese schnell umgehen. Gentechniker sind in der Folge gefordert, immer wieder neue Resistenzgene in die Sorten einzuführen. Komplexere Resistenzen mit dauerhafterer Wirkung, die aus dem Zusammenspiel mehrerer Gene entstehen, sind kaum mittels Technologie nachzuahmen. Zudem lohnt sich ihre Entwicklung für die Industrie nicht, denn sie ist zeit- und kostenintensiv und deshalb weniger lukrativ. Die klassische Züchtung hingegen hat in diesem Bereich Erfolge vorzuweisen.