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Die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen wird von ihren Befürwortern häufig als Fortsetzung des uralten Prozesses der Domestikation angepriesen, um die Öffentlichkeit für ihre Produkte zu gewinnen. Warum diese Prozesse nicht gleichgesetzt werden können, zeigen US-Wissenschaftler in einem neuen Artikel in der Fachzeitschrift Agriculture and Human Values. Bedeutende Unterschiede bestehen unter anderen in den biologischen und soziopolitischen Prozessen, durch welche die Veränderung erfolgt, sowie in den Auswirkungen auf die Agrobiodiversität und die Saatgutsouveränität.

Gentechnik führt zur Zentralisierung und Enteignung von Wissen und Besitzrechten

Die Domestikation ist ein langer evolutionärer Prozess, bei dem die Veränderung von Ökosystemen durch den Menschen und der daraus resultierende Selektionsdruck zu Veränderungen des Genoms, des Erscheinungsbilds und des Verhaltens von Pflanzen und Tieren führen. Die Domestikation findet in lokalen landwirtschaftlichen Betrieben statt, gesteuert durch die lokalen Bedürfnisse. Sowohl Pflanzenzüchtung als auch Gentechnik unterscheiden sich grundlegend von diesem Prozess indem sie die Pflanzenevolution von den landwirtschaftlichen Betrieben weg und hin zu zentralisierten Institutionen verlagern. Dieser Trend, der mit der institutionalisierten Züchtung angefangen hat, wird von der Gentechnik auf das Extremste verstärkt: nicht nur dominieren die von der Agrarindustrie als nützlich erachteten Merkmale die Forschung und Entwicklung, sondern auch das Wissen und die Arbeit rund um die pflanzengenetischen Ressourcen finden ausserhalb des landwirtschaftlichen Betriebs statt. Zudem wird das patentgeschützte Saatgut zum geistigen Eigentum und ist somit nicht mehr frei austauschbar oder weiterentwickelbar.

Grundlegend verschiedene biologische und soziologische Hintergrundprozesse

Im Sinne der Zentralisierung und der Enteignung des Wissens und der Rechte rund um das Saatgut ist tatsächlich eine gewisse historische Kontinuität zu vermerken – nicht aber im soziologischen und biologischen Sinn. Während bei der Domestikation die Bäuer:innen über das Saatgut sowie über das damit verbundene Wissen verfügten und die Evolution der Pflanzen auf dem Feld stattfand, wurde dieses Privileg von den landwirtschaftlichen Betrieben zuerst in staatliche Institutionen, und mit der Entwicklung der Gentechnik in die Hände weniger Grosskonzerne verlagert. Auch das Tempo der Veränderungen wird bei der Pflanzenzüchtung, und vor allem bei der Gentechnik beschleunigt. Während Züchter:innen und Gentechniker:innen aus genetisch gesehen vielfältigen Populationen schöpfen, um dann genetisch homogene Pflanzen mit spezifischen Merkmalen herzustellen, geschieht dies bei der Domestikation anders: Aus genetisch gesehen diversen Populationen entstehen neue, ebenso vielfältige Populationen. Auch die Selektionskräfte, welche die Evolution der Pflanzen beeinflussen, sind unterschiedlich: Bei der Domestikation war es oft das Wegfallen gewisser Selektionskräfte, die in der Natur noch wichtig waren, welche zur Weiterentwicklung der Pflanzen geführt hatten – ein indirekter Weg. So haben Kulturarten beispielsweise Eigenschaften verloren, welche ihre Verbreitung ohne menschliche Hilfe erleichterten. In der Pflanzenzüchtung und in der Gentechnik hingegen, wird im Gegensatz dazu im Allgemeinen auf die direkte Selektion der wünschenswerten Eigenschaften gesetzt.

Irreführende Gehirnwäsche

Aussagen wie “alle Kulturpflanzen sind gentechnisch verändert“, „die Menschheit hat bereits vor 10'000 Jahren angefangen Pflanzen für die Nahrungsmittelproduktion gentechnisch zu verändern“ oder „fast alle aktuell konsumierten Nahrungspflanzen sind grundlegend anders als ihre natürlichen Vorfahren – sie sind über Tausende von Jahren manipuliert worden“ leiten viele Artikel industrienaher Wissenschaftler ein und sind mittlerweile im öffentlichen Diskurs weit verbreitet. Autoren und Wissenschaftsjournalist:innen, die Domestizierung und GVO in einen Topf werfen, wollen ihrer Leserschaft einreden, dass die Ängste der GVO-skeptischen Öffentlichkeit irrational und das Resultat eines Mangels an Wissen über Pflanzenbiologie sind. Somit wird versucht, von Bedenken beispielsweise über die unbeabsichtigten Folgen der Technologie abzulenken. Doch solche Aussagen ignorieren nicht nur die komplexen Meinungen der Landwirt:innen, sondern auch die Kritik an den soziopolitischen Aspekten des intensiven landwirtschaftlichen Systems, das u.a. weitgehende Auswirkungen auf das umstrittene Recht auf Besitz und Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen hat.

Die Autoren zeigen die wichtigsten Unterschiede zwischen diesen Prozessen am Beispiel der USA auf. Da die Entwicklungen in den USA einen grossen Einfluss auf internationale Forschungsagenden und regulatorische Rahmenwerke ausüben und dort Gentechnologie sowie institutionalisierte Pflanzenzüchtung die On-farm Züchtung fast vollständig ersetzt haben, lässt sich aus diesem Beispiel ein mögliches globales Szenario des technologischen Wandels besonders gut ableiten.

Die Eroberung der Mehrheit der Anbauflächen durch kommerzielle und GV-Sorten hat die Züchtungstätigkeit zentralisiert. Die professionelle Pflanzenzüchtung hat die Verfügungsrechte über Sorten eingeengt: durch Patente geschützte Sorten sind nicht mehr Gemeingut, das durch die Bäuer:innen frei weiterentwickelt werden kann, um noch mehr Vielfalt zu erschaffen – die Nutzungsrechte konzentrierten sich bei begrenzten staatlichen und privaten Körperschaften. Damit ging wertvolles Wissen verloren und das dezentralisierte System der bäuerlichen Züchtung, der Schlüssel zur Erhaltung der biologischen Vielfalt wurde gesprengt. Der Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität ist also weniger von biologischem Ursprung, sondern lässt sich vielmehr auf soziopolitische Auslöser zurückführen.

Es ist genau die Uneinheitlichkeit der landwirtschaftlichen Praktiken über Tausende von Jahren, welche die unermessliche Agrobiodiversität geschaffen hat, aus der heutige Pflanzenzüchter:innen und Biotechnolog:innen schöpfen. Der wertvolle und fortlaufende Prozess des Domestizierens wird jedoch von der auf gleichförmige und ertragreiche Sorten fokussierenden Pflanzenzüchtung und der Semantik der gewinnorientierten Gentechnik bedroht. Deshalb ist es wichtig, die Domestikation eindeutig von Pflanzenzüchtung und Gentechnik abzugrenzen, um die Pflanzenvielfalt und die soziopolitischen Beziehungen, die sie fördern und erschaffen, zu erhalten.