Keine Einigung über neue Gentechniken. Bild: Shutterstock
Trotz Bemühungen der belgischen Ratspräsidentschaft schaffte es das Thema Deregulierung nicht auf die Agenda des EU-Botschaftertreffens am 26. Juni. Es konnte keinen mehrheitsfähigen Kompromiss erreicht werden. Die Auswirkungen seien ungenügend geklärt, kritisierten einige Mitgliedstaaten, allen voran Polen. Wie es aussieht, werden noch viele gentechnikfreie Ackerfrüchte auf europäischen Feldern wachsen dürfen.
Der Ratsvorsitz wird nun von Ungarn übernommen – einem gentechkritischen Land, das Polens Bedenken teilt. Auch Verbände und Unternehmen kritisieren die Deregulierungspläne erneut.
Umstritten – Patente
Den umstrittensten Punkt der Diskussion bilden Patente auf die mit neuer Gentechnik (NGT) entwickelten Pflanzen. Hier wird ein Patentverbot diskutiert. Ungarn und seine Mitstreiter wollen solche Patente verbieten, zum Schutz von gentechfreien Landwirtschafts- und Züchtungsbetrieben. Doch Achtung! Ein solches Verbot kann jedoch vom Europäischen Parlament leider kaum bewirkt werden.
Im Gegensatz dazu plädierte Belgien erstmals dafür, nur solche Nutzpflanzen aus neuer Gentechnik zu deregulieren, die nicht durch Patente geschützt sind. Diese würden wie ihre Pendants aus herkömmlicher Züchtung behandelt. Vor kurzem schlugen die Belgier aber vor, Freisetzungsversuche zu ermöglichen, ohne die Patentfrage vorher zu klären. Zudem wollten sie Patente auf die Herstellungsverfahren erlauben. Der Vorschlag fand bei den Mitgliedsstaaten – trotz enormem Druck auf kritische Ländern, allen voran auf Polen – zum Glück keine Mehrheit: Zu viele Bedenken ungeklärt.
Organisationen und Unternehmen gegen Deregulierung
Der Widerstand gegen eine Deregulierung – und somit gegen den belgischen Vorschlag – ist auch bei diversen europäischen Organisationen aus Umweltschutz, Landwirtschaft, Imkerei und Lebensmittelproduktion gross. In einem Brief an die EU-Mitgliedsstaaten erneuerten diese ihre Forderungen einen Tag vor dem Botschaftertreffen. Die wichtigsten Messages: Alle Pflanzen aus neuer Gentechnik müssen auch in Zukunft auf ihre Risiken geprüft und im Praxiseinsatz überwacht werden. Produkte aus solchen Pflanzen müssen gekennzeichnet werden. Der Rat solle sich den Bericht der französischen Lebensmittelbehörde ANSES genauer ansehen, der dafür detaillierte, praxistaugliche Vorschläge mache, rieten die Unterzeichnenden.
Zudem mobilisieren sechs Unternehmen der gentechnikfreien und ökologischen Lebensmittelwirtschaft diesen Sommer ihre Mitbewerber in Europa zu Protestbriefen an die politischen Führer der 27 EU-Mitgliedstaaten. Ihr Ziel: Die Umsetzung der Kennzeichnungspflicht und die Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit aller Pflanzen aus neuer Gentechnik, zum Schutz der gentechfreien Produktion. Dies gehe nicht ohne Nachweisverfahren und Regelungen zur Koexistenz. Nur so könne die Wahlfreiheit der Kunden sichergestellt werden, hebt der Brief hervor. Auch nationale Anbauverbote müssten weiterhin möglich sein.
Ungarn, als aktueller Vorsitzende im EU-Rat hatte sich bisher für viele dieser Punkte stark gemacht. Laut seinem Programm will das Land einen Schwerpunkt auf nachhaltige Landwirtschaft setzen. Zu den „neuen genomischen Techniken“ heisst es dort nur, man wolle die Verhandlungen über den Gesetzesvorschlag fortführen. Dass Ungarn das Dossier bis zum Jahresende zu einem Abschluss bringt, sei unwahrscheinlich, schätzt der polnische Minister Czesław Siekierski ein. Denn auch die beiden Vorgänger im Ratsvorsitz hätten es trotz grösster Mühen nicht geschafft. Nach Ungarn müssen Anfang 2025 dann die Polen übernehmen – aktuell ebenfalls auf der kritischen Seite.
Keine Eile – Vorsorgeprinzip walten lassen
Die Diskussion in der EU ist also von Vorsicht geprägt. In der Schweiz soll der Bundesrat seinen Gesetzesentwurf zur Neuregulierung der NGT nach den Sommerferien veröffentlichen. Die Entwicklungen in der EU zeigen, dass es noch viel Aufklärung bezüglich der Auswirkungen der neuen Technologien braucht.
Auch die Schweiz muss Vorsicht walten lassen, fordert die SAG in ihrem Positionspapier. Kritische Stimmen machen sich bereits laut: So hat der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel – getragen von Bio-Suisse, dem Verein Gen Au Rheinau und der SAG – am 27. Juni eine Petition gegen die Lockerung des Gentech-Moratoriums in Bern eingereicht. Darin forderten 24 780 Menschen die Politik dazu auf, das Moratorium für den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt zu verlängern, bis zur Umsetzung der geplanten Lebensmittelschutz-Initiative. Damit stiessen sie eine längst überfällige Diskussion an.