GVM
Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) hat eine Studie zu Anwendungen von GVM in der Landwirtschaft und in weiteren Umweltbereichen in Auftrag gegeben. (Bild: Wikimedia Commons)

Mit der Entwicklung der neuen gentechnischen Verfahren (NGV) ist auch das Interesse an der Forschung mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen (GVM) massiv gestiegen. Weltweit wird an GVM für die unterschiedlichsten Bereiche geforscht und einige Produkte sind bereits auf dem Markt. Um sich auf die anstehenden Debatten und Bewertungen von Anwendungen von GVM vorzubereiten, hat die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) eine Studie zu Anwendungen von GVM in der Landwirtschaft und in weiteren Umweltbereichen in Auftrag gegeben. Der nun vorliegende Bericht zeigt: In der EU und der Schweiz sind gegenwärtig lediglich in der Human- und Veterinärmedizin Produkte mit GVM zugelassen. Es werden vor allem GV-Viren - selten auch GV-Bakterien - als Impfstoffe verwendet.

Weltweit betrachtet gibt es aber auch in anderen Bereichen Produkte: GVM sind als Lebens-, Futter-, Pflanzenschutz- und Düngemittel, als Starterkultur für die Bioethanolherstellung, als Biosensoren und sogar als Experimentiersets für den Schul- und Freizeitbereich auf dem Markt erhältlich. Der Bericht fokussiert auf gentechnisch veränderte Viren, Bakterien, Pilze und Mikroalgen.

Lebende GV-Bakterien für Anwendungen an Mensch und Tier

Forschende arbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen an Produkten, die lebende GV-Bakterien enthalten und für den Einsatz an Menschen und Tieren vorgesehen sind. Die Bakterien sind dazu meist gentechnisch so verändert, dass sie entweder als Lieferanten für einen Wirkstoff einsetzbar sind oder unliebsame Mikroorganismen fernhalten. Lebende GV-Bakterien könnten zukünftig in Human- und Tierarzneimitteln, in Nahrungsergänzungsmitteln, in Futtermittelzutaten, in Kosmetika und in Diagnostika zur Anwendung kommen. In Zukunft dürfte es deshalb Tiere und Menschen geben, die in ihrem Haut-, Mund- oder Darmmikrobiom GVM mit sich tragen, folgert der Bericht.

Gentechnische Veränderung von Bakterien und Viren in situ

Wurden in der Vergangenheit Bakterien im Labor gentechnisch verändert und dann am Bestimmungsort eingesetzt, erproben Forschende derzeit eine Reihe von Methoden, um Bakterien direkt in situ – also beispielsweise in Ackerböden, im Darm von Tieren oder auf der Haut des Menschen – gentechnisch verändern zu können.

Auch an GV-Viren, die sich in der Umwelt ausbreiten können, wird geforscht. So stehen sich selbstausbreitende GV-Viren als Impfstoffe für die Prävention gegen Zoonosen (Infektionskrankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können) und zum Schutz von Wildtieren, sowie als Mittel für die Kontrolle von Tierbeständen zur Diskussion. Ein Beispiel für die Anwendung in der Landwirtschaft sind GV-Viren, die sich via Insekten von Pflanze zu Pflanze verbreiten und den Pflanzen neue Eigenschaften vermitteln sollen.

Herausforderung für die Risikoabschätzung und -bewertung

Beschleunigt wird die Forschung mit GVM durch die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). In Zukunft sind auch GVM zu erwarten, die neuartige mit KI generierte Proteine bilden oder deren Erbgut Veränderungen aufweist, die von einem KI-Modell vorgeschlagen wurden.

Derartige GVM, die aktuell für Anwendungen ausserhalb geschlossener Systeme entwickelt werden, gehören zu sehr unterschiedlichen Organismengruppen wie Viren, Bakterien, Pilzen, Mikroalgen und Plasmiden und sie sind auf sehr unterschiedliche Weise gentechnisch verändert. Dies können Mutationen an einem Punkt eines Gens sein, die Entfernung einer Gensequenz oder eines ganzen Gens, aber es kann auch bedeuten, dass neue Gensequenzen eingefügt wurden.

Die Konsequenz: Die GVM, die künftig auf den Markt kommen, werden sehr unterschiedliche Risikoprofile aufweisen und die bestehenden Vorschriften und Leitlinien für die Risikoabschätzung und -bewertung von GVM werden komplexer und sie müssen darauf geprüft werden, ob sie diesen Anforderungen genügen.

Eine Herausforderung für die Risikoabschätzung und -bewertung von GVM wird auch die Vielfalt möglicher Einsatzorte von GVM sein. Sie reicht von Haut, Mund und Darm von Tieren und Menschen, über Wurzeln, Blätter und Zellen von Pflanzen bis hin zu Hauswänden, Vorgärten von Wohnsiedlungen und Krankenhausbetten. GVM werden zudem auch für Einsätze in Gewässern und Naturschutzgebieten entwickelt und somit für Lebensräume, die gemäss der Freisetzungsverordnung (FrSV) des Bundes besonders vor GVO zu schützen sind.

Sind GV-Mikroorganismen eine neue globale Umweltgefahr?

Ein im November 2024 veröffentlichter Report der britischen Organisation GeneWatch trägt den Titel: GM/GE-Mikroorganismen: eine neue globale Umweltkatastrophe in der Entstehung? Er befasst sich ausführlich mit den Risiken solcher im Labor erschaffener Organismen. Gegenwärtig würden die zukünftigen Vorteile derartiger GVM hochgejubelt, heisst es im Bericht. Doch es sei ratsam, dass man ihnen sehr skeptisch gegenüberstehe. Denn noch bevor deren Nutzen abschliessend bewiesen sei, könnte es zu einer grossflächigen Freisetzung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen kommen, die sich in der Natur vermehren und ausbreiten und über mehrere Generationen (vielleicht sogar unbegrenzt) überleben.

Dadurch erwachse die Gefahr, dass eine Form von „lebender Umweltverschmutzung“ entstehe, die nicht eingedämmt, kontrolliert oder zurückgerufen werden könne, wenn etwas schief geht, konstatiert der Report. Besonders, da die GVM auf unterschiedlichste Weisen verbreitet werden könnten, beispielsweise über Abwasser, Insekten, Staubstürme und Regen aber auch über die Mikrobenpopulationen im Darm oder auf der Haut von Menschen und Tieren. GVM könnten daher Gewässer und Land verschmutzen und zu dauerhaften negativen Veränderungen unterschiedlichster Ökosysteme führen.

Keine ausreichenden Leitlinien für Risikobewertung und Überwachung von GVM

Auch eine gemeinsame Studie des Österreichischen Umweltamtes und des Deutschen Bundesamtes für Naturschutz befasst sich mit Anwendungen von gentechnisch veränderten Mikroorganismen und den Herausforderungen, welche diese für die Risikobewertung und die staatliche Regulierung mit sich bringen.

Am Bespiel von gentechnisch veränderten Mikroalgen, die für die Biokraftstoffproduktion verwendet werden und gentechnisch veränderten Bodenbakterien, die als Biodünger im Getreideanbau zum Einsatz kommen, wird die Vielfalt der Fragestellungen aufgezeigt, welche derartige neu entstehende Anwendungen für die Risikobewertung und die Überwachung mit sich bringen. Eine Bewertung sei schwieriger als bei GV-Nutzpflanzen, heisst es im Bericht, da nach wie vor grosse Wissenslücken bezüglich der Biologie und Ökologie von Mikroorganismen existieren. Die bestehenden Leitlinien für die Risikobewertung und Überwachung von GVM bewertet die Studie als nicht ausreichend, um die mit den GVM verbundenen Risiken für Produktionssysteme und die Umwelt zu bewerten und notfalls zu mindern. Zum gleichen Schluss kam auch die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Sie fordert daher, dass die verfügbaren Leitlinien für GVM aktualisiert werden müssen, insbesondere für Anwendungen, welche die Freisetzung lebensfähiger GVM in die Umwelt betreffen.