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Die neuen gentechnischen Verfahren haben, im Gegensatz zu Mutagenese, keine "history of safe use". Deswegen ist eine Regulierung nötig, die eine strenge Risikobewertung vorschreibt. Bild: Shutterstock.

Vor kurzem berichteten wir darüber, wie die Agrarindustrie trotz des klaren Entscheids des Europäischen Gerichtshofes, der die neuen gentechnischen Verfahren eindeutig als Gentechnik einstuft, sowohl in der Schweiz als auch in der EU ihre Lobbyaktivität für die Deregulierung dieser Verfahren verstärkt. Um die Produkte der Genomeditierung aus dem Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes herausnehmen zu können, werden irreführende Argumente verbreitet. Unter anderen wird propagiert, diese Produkte seien natürlich, die im Labor zugefügten Mutationen nicht von solchen, die in der Natur vorkommen unterscheidbar und deswegen auch nicht rückverfolgbar. Zudem wird die erhöhte Präzision der Methode als Garantie für ihre Sicherheit dargestellt. Gentechnikkritiker, die diese Ansichten zu widerlegen versuchen, werden als unwissenschaftlich und innovationsfeindlich abgetan.

In einem Interview mit Euractiv, dem führenden Internet-Nachrichtenportal für Europapolitik, meldet sich nun ein Repräsentant eines grossen Agrarkonzerns zu Wort und bestätigt unsere Einstufung – zumindest was Risiken und Nachweisbarkeit betrifft.

Bereits am Anfang des Interviews über die technischen Einzelheiten der genetischen Methoden legt Dr Larry Gilbertson, leitender Biotechnologe bei Bayer Crop Science (früher bei Monsanto) fest: die neuen gentechnischen Verfahren seien im Grunde genommen genauso gentechnische Eingriffe wie die klassische Gentechnik. Denn beide Verfahren verändern die DNA. Dementsprechend gäbe es auch keine Unterschiede, was die Risiken beider Technologien anbelangt, so der Wissenschaftler. Da es sich bei den neuen gentechnischen Verfahren um ein sich stetig dynamisch entwickelnde Gebiet der Biotechnologie handelt, muss die Risikoprüfung auch mit evolvieren. Wie streng die Risikoanalyse ausfallen soll, hängt schlussendlich von den Entscheidungen der Regierungen ab. Damit stimmt Gilbertson bei, dass politische Entscheidungen und die daraus resultierenden gesetzlichen Bestimmungen ein wichtiger Antrieb für die Entwicklung von Methoden zur Risikoabschätzung sind.

Dasselbe gilt für Nachweisverfahren. Denn, wie Gilbertson betont, sind auch die neuen gentechnischen Verfahren nachweisbar. Unabhängig davon, ob es sich um klassische Züchtung, ungerichtete Mutagenese oder präzisere neue Verfahren der gentechnischen Manipulation handelt, hinterlassen all diese Eingriffe spezifische Spuren im Erbgut, die sich nachverfolgen lassen. Dies auch dann, wenn solche Spuren bei neueren Techniken wie die Genomeditierung eventuell seltener werden und natürlichen Mutationen ähneln.

Dass industrienahe Biotechnologen die Risiken der neuen gentechnischen Verfahren anerkennen und somit die Notwendigkeit einer Regulierung, die eine strenge Risikoevaluation verlangt und die Rückverfolgung solcher Produkte ermöglicht, ist ein Meilenstein, der ausgewogene und transparente Diskussionen über die Gestaltung des gesetzlichen Rahmens erlaubt. Gilbertsons Befürchtung, eine strenge Regulierung würde innovationshemmend wirken, lässt sich aber bestreiten. Grundlageforschung kann ungehindert weitergetrieben werden, hingegen müssten Produkte vor einer Kommerzialisierung einer sorgfältigen Risikoanalyse unterzogen werden, um Konsumierende und Umwelt zu schützen. Auch die Aussage, Genomeditierung würde die DNA auf gleiche Weise wie Züchtung und ungerichtete Mutagenese verändern, ist kritisch zu betrachten. Die Mutagenese ist in der EU von der aktuell geltenden GVO-Richtlinie ausgenommen. Solche Vergleiche dienen dazu, die neuen Verfahren ähnlich wie Mutagenese einstufen zu können, um sie folglich aus dem Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes zu befreien, was eine schnelle Vermarktung ohne seriöse Risikoprüfung erlauben würde. Sie werden jedoch durch keine Beweise gestützt. Die neuen Gentechnik-Verfahren unterscheiden sich deutlich von klassischen Methoden der Züchtung und rufen andere, neue Risiken hervor.

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