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Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich EKAH hat einen neuen Bericht zum Vorsorgeprinzip veröffentlicht. Sie geht darin auch der Frage nach, ob das Vorsorgeprinzip Innovation verhindert, wie dies oft – vor allem von Wirtschafts- und Forschungsseite - suggeriert wird. Das Fazit des Berichts ist eindeutig: NEIN! Im Gegenteil, das Vorsorgeprinzip kann – richtig angewendet - innovationsfördernd sein. Das Vorsorgeprinzip kommt in Situationen zur Anwendung, in denen ein schwerwiegender Schaden eintreten kann, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aber noch nicht definiert werden kann.

Folgt man dem Grundgedanken des Vorsorgeprinzips, sind in einem solchen Fall Vorkehrungen zu treffen, die vor einem Schaden möglichst schützen. Das Hauptaugenmerk in einer Vorsorgesituation liegt auf dem Aspekt des Schadens. Das bedeute aber nicht, dass der mögliche Nutzen einer Entwicklung keine Rolle spiele, schreibt die EKAH. Es sei aus Sicht der relevanten ethischen Theorien im Gegenteil klar, dass auch Nutzenpotenziale erforscht und, soweit in einer Vorsorgesituation zulässig, Daten zur Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung erhoben werden sollten. Insofern seien Überlegungen zum Innovationspotenzial und den entsprechenden Chancen ein fester Bestandteil einer Vorsorgesituation.

Die Kritik, das Vorsorgeprinzip sei innovationsfeindlich oder innovationshemmend, erachtet die EKAH daher als unbegründet. Zu beachten sei, dass das  Vorsorgeprinzip, anders als in der Diskussion um das «Innovationsprinzip» oftmals zu hören, kein Prinzip zur Bewertung von Risiken (im Verhältnis zu Chancen) sei, sondern ein Prinzip zum Umgang mit Situationen der Unsicherheit, in denen aufgrund mangelnden Risikowissens eine solche Bewertung noch nicht möglich ist, schreibt die EKAH. Sobald dieses Wissen ausreichend sei, werde der Vorsorgebereich verlassen. Denn dann könne entschieden werden, ob die nun bekannten Risiken akzeptabel sind oder nicht.

Der Begriff „Innovationsprinzip“ ist eine Erfindung des European Risk Forum, ein Think Tank, welcher der Chemie-, Tabak- und Erdölindustrie nahesteht. Der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie klagte: „In Europa stehen reflexartig immer zuerst die Risiken im Vordergrund der Bewertung weniger der Nutzen von neuen Produkten.“ Die politische Abwägung von Chancen und Risiken müsse aber ausgewogen sein – sonst sei technischer Fortschritt kaum möglich. 2015 tauchte der Begriff „Innovationsprinzip“ erstmals in einem Dokument der Europäischen Kommission auf. Die Politik griff damit eine Forderung der Wirtschaft und Teilen der Wissenschaft auf, die darauf drängte, «innovationsfreundliche Rahmenbedingungen» zu schaffen, d.h. Rechtsvorschriften so zu gestalten, dass alle Phasen eines «Innovationszyklus» von Forschung und Entwicklung bis zur Kommerzialisierung (und Rezyklierung) optimal genutzt werden können, um auf diese Weise den mit einer innovativen Idee verbundenen potenziellen wirtschaftlichen, sozialen und/oder ökologischen Nutzen möglichst umfassend zu realisieren. Eine verbindliche Definition dieses Begriffs liegt aber bis heute nicht vor.

Viele Nicht-Regierungsorganisationen in der EU befürchten daher, dass mit dieser Fokussierung auf die Innovation das Vorsorgeprinzip ausgehebelt werden könnte und die Einführung eines solchen «Innovationsprinzips» dazu führt, dass neue wissenschaftliche und technologische Entwicklungen zumindest teilweise der kritischen Diskussion entzogen werden. Denn in der Begriffswahl schwingt eine Wertung mit: innovativ wird tendenziell als positiv eingestuft.

Die Verfechter des Innovationsprinzips befürchten, dass strenge Sicherheitsanforderungen zu Wettbewerbsnachteilen führen. Zwar spielt der Begriff in der Schweiz noch keine Rolle, doch auch hierzulande sei die Kritik verbreitet, das Vorsorgeprinzip sei einseitig auf die Risiken ausgerichtet und vernachlässige die mit den neuen Technologien verbundenen Chancen, schreibt die EKAH. Sie hält an ihrer Beurteilung fest, dass das Vorsorgeprinzip nicht innovationsfeindlich ist. Im Gegenteil: Innovationstätigkeit könne durch Vorsorgemassnahmen angeregt werden – diese animieren zu einer Suche nach alternativen, risikoärmeren Entwicklungspfaden.

Zwischen Vorsorge und der Entwicklung neuer Technologien gebe es keine unauflösbaren Widersprüche, folgert die EKAH. Die Zulassung neuer Technologien und entsprechender Produkte müsse aus ethischer Sicht an ein relativ anforderungsreiches Verfahren gebunden sein, das auch dann nicht zur Disposition stehen dürfe, wenn dies zur Folge hat, dass es länger dauern könnte, bis sie auf den Markt kommen. Dieser Aspekt sei auch in Zeiten eines beschleunigten Technologiefortschritts zu berücksichtigen – selbst wenn dieser Fortschritt nötig erscheine, um die anstehenden globalen Herausforderungen meistern zu können.