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Die Agrarindustrie lobbyiert verstärkt für eine Deregulierung der sogenannten SDN-1 Techniken. Diese sind neue gentechnische Verfahren, welche mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 einzelne Gene ausschalten. Zwei neue Studien über die Nebeneffekte solcher, als gezielt und präzise beworbene Eingriffe zeigen, warum ein weniger strenger gesetzlicher Rahmen wissenschaftlich nicht vertretbar ist.

Wie vieles in der Biologie basieren auch die Werkzeuge der Genomeditierung auf Modellen. Modelle beinhalten Annahmen und Vereinfachungen, denn die genaue Funktionsweise biologischer Systeme ist meistens zu komplex, um vollständig nachgeahmt oder verstanden zu werden. Aufgrund dieser Vereinfachungen treten oft unerwartete Fehler auf. Dies trifft auch im Fall der Genschere CRISPR/Cas9 zu.

Forscher auf der ganzen Welt benutzen diese, um Gene mit einem Schnitt gezielt auszuschalten. Da die Funktion eines Fünftels aller Gene bislang noch nicht entschlüsselt worden ist, wird so versucht, diese zu verstehen. Gene enthalten die Grundinformation für die Herstellung von Proteinen. Zuerst wird das genetische Code in Boten-RNA (mRNA) überschrieben, die dann die Proteine kodieren. Wird die Grundinformation durch den Schnitt zerstört, wird die DNA-Sequenz unverständlich und die Proteinherstellung eingestellt. Die Konsequenzen dieses Eingriffes erlauben Rückschlüsse auf die Funktion und Arbeitsweise des Gens. So zumindest die Annahme, worauf solche Forschungsvorhaben basieren.

Dass es in der Biologie keine Regeln ohne Ausnahmen gibt, bestätigt ein Projekt des European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg. In der Studie wurden 136 Gene mittels CRISPR/Cas9 zerschnitten. Dabei stellten die Forscher Überraschendes fest. Trotz Schnitt produzierte ein Drittel dieser Gene Proteine, die sogar noch teilweise funktionsfähig waren. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass in jedem einzelnen Fall überprüft werden muss, ob die mittels Genschere „ausgeschalteten“ Gene tatsächlich zu keinen Proteinen mehr führen. Da bisher nur die wenigsten Fachzeitschriften eine solche Validierung verlangten, wurde oft keine durchgeführt. Dementsprechend könnten die Ergebnisse von Dutzenden, wenn nicht von Hunderten von Studien irreführend sein, schreiben die Autoren. Zudem seien auch die verlangten Verifizierungsmethoden nicht einheitlich, es bestehe Handlungsbedarf, so die Forscher. Bei landwirtschaftlichen Produkten, wie bei den, in den USA zugelassenen nichtbräunenden Pilzen, könnten die entstandenen, teilweise funktionsfähigen Proteine allergisierend oder gar toxisch wirken. Um dies auszuschliessen, bräuchte es zusätzlich teure Langzeit-Fütterungsstudien, woran jedoch die Agrarkonzerne nicht interessiert sind.

Dass die Genschere CRISPR/Cas9 möglicherweise noch viele weitere Überraschungen bereithält, zeigt eine andere aktuelle Studie. Forscher am Christiana Care`s Gene Editing Institute (USA), einem weltweit führenden biomedizinischen Forschungszentrum, haben ein neues Werkzeug zur Detektion von unerwünschten Veränderungen entwickelt. Damit können unbeabsichtigte Nebeneffekte rund um die Zielsequenz innerhalb von 48 Stunden entdeckt werden. Dies ersetzt die bisher üblichen, aufwendigen und teuren Verfahren, welche in der Regel bis zu 2 Monate dauerten. Darüber hinaus ermöglicht die neue Technik die Identifizierung unerwünschter Nebeneffekte, die mit den bisher gebräuchlichen Standardmethoden übersehen wurden. Unter anderen können auch kleinste Mutationen in unmittelbarer Nähe der Zielsequenz ausgemacht werden. Die Autoren der Studie preisen zwar die neuen Möglichkeiten, welche die Genschere CRISPR/Cas9 eröffnet, weisen jedoch darauf hin, dass bei jedem Eingriff viele ungeplante Veränderungen rund um die Zielsequenz zu erwarten sind. Diese müssten genauer analysiert werden, damit die vermeintliche Reparatur eines Gens nicht zu grösseren Problemen führt, warnen sie.

Doch auch die hochsensitiven und effektiven Detektionsverfahren werden unerwünschte Nebeneffekte nicht verhindern können, egal wie gut Wissenschaftler in der Lage sind, solche Effekte zu erkennen. Und auch wenn es gelingt, die Genscheren immer präziser zu machen, können unbeabsichtigte Veränderungen an der Zielsequenz (on-target) oder ausserhalb dieser Region (off-target) nie vollständig ausgeschlossen werden – sie werden höchstens seltener oder subtiler. Denn bereits die Eingriffe, die zur Vorbereitung für die gentechnische Manipulation an den Zellen vorgenommen werden müssen, verursachen Stress und dieser führt – unabhängig vom Präzisionsgrad des gentechnischen Werkzeugs – zu unvermeidbaren Mutationen in der DNA.

GM-Watch: Wenn CRISPR die Gene doch nicht ausschaltet

The Wire: Here is why many CRISPR/Cas9 experiments could be wrong

Neues Werkzeug zur Detektion von unerwünschten Nichtzieleffekten