(Bild: Greenpeace/Stutz)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 95
Die Schweiz bleibt weiterhin gentechfrei — oder doch nicht?
In der Schweiz wachsen keine genmanipulierten Pflanzen. Dies ist ein Erfolg des zum dritten Mal verlängerten Anbaumoratoriums der Gentechfrei-Initiative aus dem Jahre 2005, welche die SAG mit ihren Partnerorganisationen lanciert hatte. Doch nun drängen neue gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt – ob sie dem Moratorium unterstellt werden, ist noch unklar.
Text: Denise Battaglia, Paul Scherer
Zum dritten Mal hat das eidgenössische Parlament das Gentech-Moratorium verlängert, es dürfen in der Schweiz weiterhin keine genmanipulierten Pflanzen angebaut werden. Das Verbot gilt bis ins Jahr 2021. Auch die Koexistenz wurde abgelehnt.
Die Unschuld (noch einmal) bewahrt
(Bild: Yoshiko Kusano)
Die Schweiz sei zu klein für ein Nebeneinander von gentechnisch veränderten und konventionellen Pflanzen, lautete der Tenor im Ständerat in der Frühlingssession. Würden gentechnisch manipulierte Pflanzen einmal zugelassen, liessen sich Verunreinigungen nie mehr rückgängig machen. «Man kann die Unschuld nur einmal verlieren», sagte der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann treffend. Die Schweiz hat sich die Unschuld (noch einmal) bewahrt. Martina Munz, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG), freut sich über die Verlängerung des Verbots um vier Jahre. «Dass die Schweiz bis heute gentechfrei ist, verdanken wir dem Engagement der SAG und den Partnerorganisationen.» Ein Verbot auf unbestimmte Zeit wäre Martina Munz allerdings lieber gewesen: «Unser Ziel haben wir erst dann erreicht, wenn wir den Grundsatzentscheid für eine ökologische, ganzheitliche, risikofreie Landwirtschaft gefällt haben.»
Das Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO) geht auf die von der SAG und ihren Partnern lancierte Gentechfrei-Initiative aus dem Jahr 2005 zurück, die ein Verbot für gentechnisch veränderte Pflanzen für fünf Jahre forderte. Für die Initiative spannten Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum von links bis rechts und Organisationen aus der Landwirtschaft, aus dem Umwelt-, Tier- und Konsumentenschutz zusammen. Trotzdem war die Volksabstimmung ein Kampf Davids gegen Goliath: Hier die nicht profitorientierten Umwelt- und Bauernorganisationen, dort die finanzstarke Wirtschaft, mit den Chemie- und Agrokonzernen im Rücken.
Obwohl Bundesrat und Parlament die Initiative zur Ablehnung empfohlen hatten, stimmten ihr 55,7 Prozent der Bevölkerung und alle Kantone zu. Es gab auch keinen Röstigraben, keine Kluft zwischen den Stadt- und Landkantonen. Die Annahme der Initiative gehört zu den grössten Erfolgen der im Jahre 1990 gegründeten SAG und ihrer Partner.
Bevölkerungsumfrage zeigt hohe Ablehnung
(Bild: Monika Flückiger)
Dank dieses Volksentscheides und des nun zum dritten Mal verlängerten Moratoriums ist die Schweiz gentechfrei. Dies entspricht noch heute dem Willen der Bevölkerung.
Die Befragten wollen keine Gentechnik auf dem Feld und keine Pestizide auf dem Teller. Aber gerade die gentechnisch veränderten Kulturpflanzen, die seit gut 30 Jahren auf dem Markt sind, wurden im Labor so verändert, dass sie entweder Schädlingsgifte absondern (sogenannte Bt-Pflanzen) oder gegen die Besprühung mit Unkrautvernichtungsmitteln (Herbizide) immun sind. «Weit über 90 Prozent der Gentech-Pflanzen mit einer Herbizidresistenz sind gegen ein einziges Herbizid immun – gegen Round-up von Monsanto», kritisiert die Basler Biologin Florianne Koechlin, Mitinitiantin der Gentechfrei-Initiative und Gründungsmitglied der SAG. «Wir sind heute mit einer gigantischen weltweiten Pestizidmonokultur konfrontiert, das hat es noch nie gegeben.» Diese Monopolstellung, die durch die geplanten Fusionen unter den grössten Agro- und Chemiekonzernen (siehe gentechfrei, Nr. 94, Mai 2017) und durch Patentierungen von Saatgut noch verstärkt werde, zerstöre auch die Vielfalt auf dem Feld, sagt die Biologin. Auch Florianne Koechlin freut sich über die erneute Moratoriumsverlängerung, «aber eigentlich braucht es ein Verbot. Wir brauchen diese Technologie nicht.»
Mehrheit der EU-Länder will keine Gentech-Pflanzen
(Bild: Yoshiko Kusano)
Transgene Pflanzen will auch die Mehrheit der EU-Staaten nicht. 17 von 28 EU-Staaten haben von der sogenannten Opt-out-Regelung Gebrauch gemacht. Mit ihrem Moratorium ist die Schweiz somit in bester Gesellschaft, sie ist keine gentechfreie Insel, wie die Wirtschaftsverbände gern behaupten. Womöglich stand die Schweiz mit ihrem Moratorium den EU-Ländern sogar Modell: Bereits vor acht Jahren nannte die 5. Europäische Konferenz der gentechnikfreien Regionen die Schweiz einen «Leuchtturm», der «mit dem Gentech-Moratorium Europa den Weg weist».
USA: Erster Widerstand gegen Gentech-Nahrungsmittel
Auch die amerikanischen Konsumentinnen und Konsumenten sind skeptischer geworden. Die Nachfrage nach gentechfreien Produkten wächst so stark, dass bei einigen Pflanzen Rohstoffe oder gentechfreies Saatgut aus Europa und Asien importiert werden müssen. In verschiedenen Bundesstaaten kamen Initiativen zur Abstimmung, die ein Anbauverbot oder eine Deklarationspflicht für GVO forderten. Als erster US-Bundesstaat hat Vermont 2014 eine Deklarationspflicht eingeführt. Grosse amerikanische Lebensmittelkonzerne wie Campbell Soups, Mars und Kellogg’s wollen ihre Produkte kennzeichnen, wenn sie gentechnisch veränderte Pflanzen enthalten.
Gentechnisch veränderte Pflanzen durch die Hintertür?
Gemäss der UNIVOX-Umwelt-Studie von 2015 nehmen 70 Prozent der Befragten gentechnisch veränderte Lebensmittel als Gefahr wahr. Nur Klimawandel, Kernkraftwerke und vor allem Chemikalien und Pestizide werden als noch gefährlicher bewertet. (Bild: Yoshiko Kusano)
Verschwinden genmanipulierte Pflanzen folglich bald wieder vom Markt? Das Gegenteil ist zu befürchten. Den Forschern stehen heute einfach zu handhabende und billige Instrumente zur Verfügung, wie das Genome Editing, mit denen sie gezielt Mutationen in ganz bestimmten Abschnitten der DNA herbeiführen, ganze Genabschnitte ausschneiden, ersetzen oder verändern können. Die Veränderungen seien im Endprodukt nicht nachzuweisen, sagen die Forscher. Das heisst: Würde ein Agrokonzern das Erbgut im Apfelbaum mit Genome Editing verändern, wäre die Manipulation im Apfel nicht mehr nachweisbar (vgl. gentechfrei Nr. 93, Januar 2017). Deshalb sprechen die Forscher, die Agrokonzerne und inzwischen auch die Bundesbehörden bei diesen neuen Techniken nicht mehr von «Gentechnik», sondern von «neuen Pflanzenzüchtungs-verfahren». «Dieses neue Wording soll den Laien davon ablenken, dass auch hier das Genom von Menschenhand manipuliert wurde», ärgert sich SAG-Präsidentin Martina Munz.
Weil – um bei obigem Beispiel zu bleiben – im Apfel die Genmanipulation nicht mehr nachzuweisen wäre, ist noch unklar, ob ein solcher Apfel unter das Gentechnikgesetz fallen würde. Der Bund, der diesen Entscheid fällen muss, scheint abzuwarten, was die Europäische Kommission macht, die den Entscheid ihrerseits hinauszögert. Fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz, könnten mit Genome Editing hergestellte Pflanzen ohne weitere Sicherheitsprüfung freigesetzt und angebaut werden.
Bewertet der Bund mit Genome Editing hergestellte Pflanzen nicht als GVO, fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz und könnten trotz Gentech-Moratorium angebaut und ohne Deklaration verkauft werden. «In diesem Fall wäre die Moratoriumsverlängerung, über die wir uns jetzt freuen, eine bröckelnde Teillösung», sagt Daniel Ammann, der die SAG mit gegründet hat und sie bis 2012 leitete. Er hofft, dass die neuen Verfahren auch unter das Gentechnikgesetz fallen, denn «sie eröffnen einen grossen Manipulationsspielraum mit derzeit nicht abschätzbaren Folgen». Tatsächlich haben Wissenschaftler bereits zugeben müssen, dass die neuen chirurgischen Genominstrumente doch nicht so präzise sind wie gewünscht und bereits propagiert.
Wie weit wollen wir in die Natur eingreifen?
Greenpeace unterstützte die Moratoriumsinitiative ebenso wie die SP, die Grünen, der Schweizer Landfrauenverband, der Schweizerische Bauernverband, die Kleinbauernvereinigung, der Tierschutz, der Schweizer Vogelschutz, Bio Suisse, IP Suisse, die Erklärung von Bern (heute Public Eye), SWISSAID, die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Pro Natura und WWF. (Bild: Greenpeace Ex-Press Adair)
Herbert Karch, der 2005 die Kampagne für die Gentechfrei-Initiative erfolgreich leitete, findet es auch höchste Zeit, «dass sich die Wissenschaftsgemeinde fragt, ob es für sie ethische Grenzen gebe und wie sie es mit der Selbstverantwortung halte». Eine Wissenschaft, der es um Erkenntnisse gehe, müsse sich selbstkritisch mit ihrem Handeln auseinandersetzen. «Stattdessen diffamiert die Wissenschaftsgemeinde rund um die Gentechnik jeden, der sich kritisch äussert als wissenschafts- und fortschrittsfeindlich», moniert Karch. «Sie sollte sich vielleicht einmal fragen, wem sie eigentlich dient: dem Wohl der Menschheit oder einzelnen Kapitalinteressen?»
«Deshalb», sagt SAG-Präsidentin Martina Munz, «müssen wir kritisch bleiben und nun gemeinsam gegen die Einführung der Gentechnik durch die Hintertür kämpfen.»