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Vielfalt statt Gentechnik - wir feiern die Vielfalt! Mit Sonderausstellung zur Gentechnik, Ständen von regionalen Bio-Produzenten, Führungen, Degustationen, Kulturprogramm
Die SAG beobachtet die Entwicklungen in der Nanotechnologie bei Lebensmitteln, Gebrauchsartikeln und in der Landwirtschaft seit Längerem kritisch. Ausführliche Informationen dazu auf der Unterseite Nanotechnologie.
Fokusartikel
Neue Gentechnik – eine Bedrohung für Bestäuberinsekten
Neue Gentechnik – eine Bedrohung für Bestäuberinsekten
Bestäubende Insekten sind wichtig für die biologische Vielfalt, die Funktionen des Ökosystems und die Sicherstellung der Nahrungsmittelproduktion. Die Freisetzung von Organismen, Produkten oder Bestandteilen, die mithilfe der Gentechnik gewonnen werden, droht die derzeitigen Stressfaktoren, denen Bestäuberinsekten bereits ausgesetzt sind, zu verstärken.
Noch spielen Produkte mit gentechnisch veränderten Mikroben in der Landwirtschaft kaum eine Rolle – nur eine Handvoll davon sind bisher auf dem Weltmarkt erhältlich. Doch jetzt beginnen immer mehr Firmen damit, Dünger und Pflanzenschutzmittel zu entwickeln, die aus Gentech-Mikroben bestehen. In der Schweiz wären diese Produkte nicht vom GVO-Moratorium erfasst. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.
Text: Benno Vogel
Selten ist so viel Geld in ein Start-up der Agrarforschung geflossen wie in Pivot Bio: 600 Millionen US-Dollar hat die kalifornische Firma in den letzten vier Jahren erhalten – unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates und Amazon-Chef Jeff Bezos. Dass das Interesse der Investoren so gross ist, liegt an Proven und Return, den beiden Produkten, die Pivot Bio bislang in den USA auf den Markt gebracht hat. Beide Produkte sind Dünger für Getreide – Proven für Mais, Return für Hirse und Weizen. Und beide Produkte bestehen aus Bodenbakterien, die Stickstoff aus der Luft fixieren und an die Pflanzen weitergeben. Das Besondere daran? Bisher waren Dünger aus stickstofffixierenden Bakterien weitgehend auf Gemüse wie Soja, Erbsen und Bohnen beschränkt. Bei Getreide hingegen sind sie ein Novum. Damit öffnet sich ein riesiger Markt, der bislang auf die Düngung mit chemisch erzeugtem Stickstoff setzte. Eine weitere Besonderheit von Proven und Return: Die Bakterien, die sie enthalten, sind gentechnisch verändert.
Marktpotenzial für Gentech-Mikroben steigt
Noch sind Produkte mit Gentech-Mikroben in der Landwirtschaft eine Rarität; weltweit sind nur eine Handvoll davon auf dem Markt erhältlich. Doch jetzt dürfte sich das ändern. Denn neben Pivot Bio haben weitere Firmen begonnen, gentechnisch veränderte Mikroorganismen für die Landwirtschaft zu entwickeln. Dass das Interesse an Gentech-Mikroben derzeit steigt, liegt vor allem an drei Faktoren: Erstens ist die Entwicklung neuer Mikrobenstämme dank technischer Fortschritte so leicht und kostengünstig wie noch nie. Zweitens haben in den letzten Jahren etliche Länder entschieden, neue Verfahren wie die Genomeditierung nicht mehr als Gentechnik zu regulieren. Damit ist etwa die Zulassung von Gentech-Mikroben, die keine artfremden Gene besitzen, ebenfalls so leicht und kostengünstig geworden wie nie zuvor. Die in Proven und Return enthaltenen Bakterien beispielsweise konnten in den USA ohne gentechnikrechtliche Zulassung auf den Markt kommen. Der dritte und vielleicht wichtigste Grund: Der potenzielle Markt für Gentech-Mikroben wächst ständig. Bisher war er klein, weil Dünger und Pestizide, die aus Pilzen, Viren oder Bakterien bestehen, vor allem im Biolandbau zum Einsatz kommen und dort gentechnisch veränderte Organismen generell verboten sind. Wachsen tut er jetzt, weil Politik und Gesellschaft verstärkt die Abkehr von Kunstdüngern und chemisch-synthetischen Pestiziden fordern und mikrobielle Produkte nun als Alternative zunehmend auch in der konventionellen Landwirtschaft Verwendung finden.
Knöllchenbakterien bilden an den Wurzeln der Hülsenfrüchtler Knöllchen, in denen sie den Stickstoff der Luft binden und für die Pflanze verfügbar machen. Gentech-Mikroben werden u. a. als Stickstoffdünger für Kulturpflanzen entwickelt, die keine solchen Symbionten besitzen (Bild: Shutterstock).
Stickstoffdüngung
Wie gross das Interesse an der Entwicklung von Gentech-Mikroben ist, zeigt sich vor allem bei Düngern. Hier sind nebst Pivot Bio eine Reihe von Konzernen aktiv. Einer davon ist Novozymes. Das dänische Unternehmen, das mit der Herstellung von Enzymen gross geworden ist, forscht seit einigen Jahren auch an mikrobiellen Agrarprodukten. In einem seiner Projekte will der Konzern dabei stickstofffixierende Bakterien durch Genomeditierung so verändern, dass sie 25 Prozent des für Mais benötigten Kunstdüngers ersetzen können. Auch Bayer hat die Stickstofffixierung im Visier. In Kooperation mit Pivot Bio arbeitet der deutsche Multi etwa an neuen Stämmen von Bradyrhizobium. Bakterien9 dieser Art leben in Wurzelknöllchen von Soja und versorgen die Pflanze mit Stickstoff aus der Luft. Mit Gingko Bioworks wiederum, einem führenden Unternehmen der Synthetischen Biologie, will Bayer Gentech-Bakterien kreieren, die bei Getreide für die Stickstoffdüngung einsetzbar sind. Die Zusammenarbeit begann 2018 mit einem Startkapital von 100 Millionen US-Dollar. 2020 ist auch der zweitgrösste Düngerhersteller der Welt, Mosaic Company, in die Entwicklung stickstofffixierender Bakterien eingestiegen. Der US-Konzern unterstützt seither das Start-up BioConsortia, das Bakterien für die Düngung von Mais und Weizen herstellt und dabei neben Methoden der traditionellen Stammverbesserung auch Genomeditierung einsetzt.
Gentech-Varianten von Bacillus thuringiensis werden als Pestizide gegen Schädlinge entwickelt. Gentechfreie Stämme des giftbildenden Bakteriums werden auch im Biolandbau verwendet – etwa gegen Raupen des Grossen Kohlweisslings (Bild: Shutterstock).
Giftbildende Bakterien
Ein weiterer Bereich, in dem Firmen Gentech-Mikroben entwickeln, ist der Pflanzenschutz. Auch hier sind bereits erste Produkte auf dem Markt – so etwa Jinweijun von Wuhan Kernel Biotech, das in China seit 2017 als Insektizid zugelassen ist, oder Crymax und Lepinox von Certis, die im Obst- und Gemüsebau der USA bereits seit mehreren Jahren zum Einsatz kommen. Die drei Produkte haben gemeinsam, dass sie Bacillus thuringiensis enthalten, ein Bodenbakterium, das natürlicherweise Insektengifte bildet. Indem die Firmen Giftgene unterschiedlicher Bacillus-Stämme in einem einzelnen Stamm vereint haben, haben sie jeweils Produkte erzeugt, die mehrere Gifte bilden und deshalb stärker wirken oder auch ein breiteres Wirtsspektrum haben. Giftbildende Bakterien will auch die US-Firma Pebble Labs auf den Markt bringen. Für die Entwicklung ihrer Directed Biotics genannten Pestizide setzt sie auf ein Konzept, das derzeit viel Beachtung findet: Die Verwendung von Gentech-Mikroorganismen, die doppelsträngige RNA – kurz dsRNA – bilden. Dieser Stoff löst in Zellen den RNAi-Prozess aus, was sich nutzen lässt, um in Schädlingen gezielt lebenswichtige Gene stillzulegen. Pebble Labs testet derzeit, welche Arten von Bakterien sich eignen, um giftige dsRNA zu den Schädlingen zu bringen. Während Pebble Labs auf den Einsatz lebender Gentech-Mikroben setzt, arbeiten Firmen wie TransAlgae oder Renaissance Bioscience mit abgetöteten Organismen. Sie hoffen, ihre Produkte damit leichter durch die Zulassungsverfahren zu bringen, fallen inaktivierte Gentech-Mikroben doch in vielen Ländern nicht unter die strengen Gentechnikgesetze. Das israelische Startup TransAlgae stellt dsRNAbildende Mikroalgen her und inaktiviert sie dann im Gefriertrockner, bevor es sie als Pulver aufs Feld bringt. Die kanadische Firma Renaissance Bioscience wiederum entwickelt dsRNA-bildende Bierhefe, die sie vor dem Ausbringen mit Alkohol abtötet. Dass dieser Weg funktionieren könnte, zeigte sich 2021 bei Versuchen mit dem Kartoffelkäfer. Auch chromosomenfreie Minizellen, die von Gentech-Bakterien stammen, könnten vielerorts von der Gentechnikregulierung ausgenommen sein. Firmen testen sie derzeit als Behälter, um dsRNA oder auch giftige Peptide auf die Felder zu bringen. Die US-Firma AgroSpheres zum Beispiel hat in ihrer Produktepipeline Minizellen mit dsRNA, die Erdbeeren vor Grauschimmel schützen.
Der vom Pilz Botrytis cinerea verursachte Grauschimmel kann bei Erdbeeren unter ungünstigen Witterungsbedingungen den gesamten Fruchtbesatz zunichtemachen. Grauschimmel ist eine der Krankheiten, wogegen dsRNA-bildende Mikroben entwickelt werden (Bild: Shutterstock).
Neben Düngern und Pestiziden gehören auch Biostimulanzien zu den Betriebsmitteln, für die Gentech-Mikroben in Entwicklung sind. Der deutsche Konzern BASF etwa will in Brasilien Bacillus-Präparate auf den Markt bringen, die im Boden mehr Nährstoffe für Pflanzen verfügbar machen. Dazu hat er die Bakterien so verändert, dass sie Enzyme bilden, die die organische Substanz um die Wurzeln herum abbauen. Da beim Eingriff keine gattungsfremden Gene zum Einsatz kamen, haben die zuständigen Behörden 2021 entschieden, dass das Präparat in Brasilien ohne gentechnikrechtliche Zulassung vermarktet werden kann. Auch die US-Firma Elemental Enzymes hat Biostimulanzien mit Bacillus-Arten in der Pipeline. Gingko Bioworks wiederum besitzt ein Patent für veränderte Paenibacillus-Bakterien, mit denen sich wachstumsfördernde Proteine in Pflanzen bringen lassen.
Moratorium auch für Gentech-Mikroben?
Ob und wann Zulassungsgesuche für Gentech-Mikroben auch in der Schweiz eingereicht werden, ist unklar. Klar ist hingegen, dass sie vom geltenden GVOMoratorium nicht erfasst wären. Denn das gilt nur für Pflanzen und Tiere. Ob die Reichweite des Moratoriums auf Mikroben auszudehnen ist? Das ist eine der Fragen, die die Politik diskutieren dürfte, wenn 2025 über die erneute Verlängerung des Moratoriums entschieden wird. Bisher spielen Mikroben in der Debatte über das Für und Wider von Gentechnik in der Schweizer Landwirtschaft kaum eine Rolle. Damit bleiben auch die Fragen, die mit ihrer möglichen Markteinführung einhergehen, unbesprochen. Welche Risiken bergen Gentech-Mikroben? Sind Produkte denkbar, die der hiesigen Landwirtschaft einen Mehrwert bringen? Gibt es Wissenslücken, die vor der Markteinführung zu schliessen sind? Absehbar ist, dass die Industrie wie es aktuell bei Pflanzen der Fall ist, bald auch bei Mikroben fordern wird, genomeditierte Varianten aus der Gentechnikgesetzgebung herauszunehmen. Wahrscheinlich ist auch, dass beim Ausgang der hiesigen Diskussionen die Situation in der EU eine Rolle spielen wird. Dort hat die EU-Kommission jüngst zwar den Entscheid über eine Deregulierung genomeditierter Mikroben erst mal auf unbestimmte Zeit vertagt. Sie hat aber ihre Behörden damit beauftragt, sich auf die Markteinführung von Gentech-Mikroben vorzubereiten: Die Gemeinsame Forschungsstelle befasst sich mit Nachweisverfahren für genomeditierte Mikroben und die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA geht der Frage nach, ob die bestehenden Leitlinien für die Risikobewertung von Gentech-Mikroben ausreichen.
Gentherapiemittel für Pflanzen
Während die Debatte über Gentech-Mikroben in der Landwirtschaft erst beginnt, arbeitet die Forschung bereits an einer nächsten Generation von Hightech-Mikroorganismen. So zum Beispiel an Bakterien für Trait-Sprays, das sind Mittel zur gezielten Beeinflussung der Aktivität von Pflanzengenen: Forschende der Chinesischen sischen Akademie der Agrarwissenschaften haben hierzu Bakterien so verändert, dass sie ein künstliches Protein bilden, das sich im Erbgut von Reiszellen gezielt an den Schalter eines Gens namens NOG1 heftet und damit dessen Aktivität erhöht. Wird Reis mit diesen Bakterien besprüht, bildet er – dank der Aktivierung des NOG1-Gens – 10 Prozent mehr Körner als üblich. In der Entwicklung sind zudem Mikroben, die wie eine Art Gentherapie für Pflanzen wirken. Dazu sollen Agrobakterien und Viren als Fähren nutzbar gemacht werden, um auf den Feldern DNA oder mRNA in Pflanzen einzubringen. Da sich damit steuern lässt, welche Proteine eine Pflanze bildet, sollen so Mittel entstehen, mit denen sich Eigenschaften von Pflanzen je nach Bedarf ändern lassen. Der deutschen Firma Nomad Bioscience ist es in Freisetzungsversuchen bereits gelungen, auf diese Weise Tomaten mit Zwergwuchs zu kreieren. Ein ähnliches Konzept verfolgen Forschende, die im Bereich der sogenannten In-situ-Gentechnik arbeiten: Sie wollen Viren mit der Anleitung für die Bildung der Genschere CRISPR auf die Felder bringen, um damit Pflanzen oder auch Bodenbakterien je nach Bedarf direkt in der Umwelt gentechnisch zu verändern. Bis Trait-Sprays und Gentherapiemittel kommerzielle Realität werden, dürfte es noch eine paar Jahre dauern. Klar ist aber jetzt schon, dass diese Mittel die Möglichkeiten zur Kontrolle und Manipulation der Natur massiv erweitern könnten.
Autor
Benno Vogel ist freischaffender Biologe in Winterthur und Berlin. Seit 25 Jahren bietet er Beratungen zu Gen- und Biotechnologie für NGOs und Behörden an.
Deregulieren heisst das neue Zauberwort in der gegenwärtigen krisengeschüttelten Welt. In Grossbritannien hat die Regierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der darauf abzielt, die regu–latorischen Kontrollen im Zusammenhang mit der Genomeditierung zu schwächen oder gar aufzuheben. Er trägt den Namen «Genetic Technology (Precision Breeding) Bill». Auch in der EU haben verschiedene Gruppen, die sich für die Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren einsetzen, den Begriff Präzisionszüchtung übernommen, um die neue Gentechnologie zu beschreiben.
Text: Zsofia Hock und Paul Scherer
Im September dieses Jahres wandten sich 80 namhafte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik mit einem offenen Brief gegen die Deregulierungsabsichten und die dabei verwendeten Begrifflichkeiten. Der Begriff Präzisionszucht zur Beschreibung der Genomeditierung sei sowohl technisch wie wissenschaftlich ungenau und führe daher das Parlament, die Regulierungsbehörden und die Öffentlichkeit in die Irre. Gemäss ihrer persönlichen Fachkompetenz sei Genomeditierung einerseits nicht präzise und andererseits entspreche sie nicht der allgemeingültigen Definition von Züchtung, schreiben sie.
Was es mit der Präzision auf sich hat
«Der einzige Aspekt bei der Genomeditierung, der präzise ist, ist der anfängliche Doppelstrangschnitt in der DNA, der auf eine bestimmte Stelle ausgerichtet werden kann. In den verschiedenen Phasen des gentechnischen Eingriffs treten jedoch auch verschiedene Arten von unbeabsichtigten Schäden auf, sowohl an der beabsichtigten Editierstelle (on target) als auch an anderen Stellen im Genom des Organismus (off target)», sagt der britische Biotechnologe Michael Antoniou, der den offenen Brief initiiert hat.
Was bedeutet der Begriff Züchtung
Als Dozent für Molekulargenetik und Leiter der Genexpression and Therapy Group am King’s College London verfügt Antoniou über langjährige Erfahrung in der Erforschung der molekularen Mechanismen der Genregulation. Er stützt sich auf zahlreiche von Experten begutachtete Studien, die auf unbeabsichtigte genetische Veränderungen durch die neuen Verfahren hinweisen. Eine Durchsicht der aktuellen Literatur zeigt vor allem auch, dass sich die durch Genomeditierung hervorgerufenen Veränderungen von solchen unterscheiden, die bei der konventionellen Züchtung (zwischen sexuell kompatiblen Organismen) auftreten, einschliesslich der sogenannten Mutagenese-Züchtung. Denn durch die Technik der Genomeditierung wird das gesamte Genom für Veränderungen zugänglich, während bei den obengenannten Züchtungsprozessen einige Regionen des Genoms vor Mutationen geschützt sind. Wie jüngste Forschungen an Pflanzen bestätigen, sind dies Bereiche des Genoms, die an überlebenswichtigen Prozessen des Organismus beteiligt sind. Diese Erkenntnisse stehen im klaren Widerspruch zur Behauptung gentechnikbefürwortender Kreise, mit einer Genschere induzierte Mutationen seien nicht von natürlichen zu unterscheiden. Bei der Genomeditierung handelt es sich um eine künstliche gentechnische Veränderung im Labor, die einen direkten Eingriff des Menschen in das Genom beinhaltet (siehe Abbildung auf Seite 9). Es sei folglich offensichtlich, dass dieses Verfahren keine Ähnlichkeit habe mit Züchtung, wie sie normalerweise definiert und verstanden werde, heisst es im offenen Brief an die Behörden in Grossbritannien.
Gentechnische Veränderungen beim Leindotter wirken sich auf das gesamte Nahrungsnetz aus, an dem er teilhat – etwa auf Bestäuber–insekten, die sich von seinem Nektar und Pollen ernähren. Wird die Fettsäurezusammensetzung vom Leindotter gentechnisch angepasst, kann dies einen Einfluss auf die Lernfähigkeit der Bienen haben, welche die Blüten der Pflanze besuchen (Bild: Wikipedia).
Beschönigende Begriffe sind Bestandteil einer Marketingoffensive der Gentechnikindustrie
Besonders seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH im Juli 2018, die neuen Gentechnikverfahren seien Gentechnik und gemäss den gültigen Gentechnikrichtlinien zu regulieren, versuchen Gentechnikin–dustrie und -forschung mit aufwendigen und wohl auch teuren Marketing–kampagnen Öffentlichkeit und Aufsichtsbehörden weltweit davon zu überzeugen, dass die Technologie der Genomeditierung natürlich, genau, kontrollierbar und daher sicher sei. Argumentiert wird dabei mit Begriffen und Verkürzungen, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Hinter dem Versuch, die fundamentalen Unterschiede zwischen Gentechnik und traditioneller Züchtung zu verwischen, verbirgt sich insbesondere auch die Absicht, die Reichweite von Patenten auszudehnen, so dass diese sich auf alle Organismen (Pflanzen oder Tiere) mit der im Patent beschriebenen Eigenschaft erstrecken.
Vielfältige Fehlerrisiken vs. Abschaffung der unabhängigen Risikoprüfung
Sich einen Überblick zu verschaffen, was Genomeditierung beinhaltet, ist in der Tat viel komplexer, als dies von industrienahen Forschenden gemeinhin dargestellt wird. Die neue Gentechnik beschränkt sich nicht auf die meistumschwärmte Genschere CRISPR/Cas9. Gemäss Recherchen1 der deutschen Fachstelle Gentechnik und Umwelt (FGU) dominieren seit 2014 Projekte mit der Genschere CRISPR/Cas9 die marktorientierten Vorhaben bei Pflanzen (174 Studien). Es wurden aber auch neuere Verfahren, wie CRISPR/Cpf18, CRISPR/Cas13a und Base Editing verwendet und selbst die älteren zielgerichteten Schneideenzyme, TALENs (künstliche sequenzspezifische Restriktionsenzyme) und Zinkfinger-Nukleasen, wurden genutzt, wenn auch zu einem geringeren Anteil. Ungefähr 80 % aller Genomeditierungsversuche verwendeten das Bakterium Agrobacterium tumefaciens, um die genetische Information zur Bildung der Genschere in die pflanzlichen Zellen einzuschleusen, rund 10 % den Partikelbeschuss. Beide Verfahren wurden bereits bei der klassischen Gentechnik verwendet und können bekanntlich unbeabsichtigte Fehler im Erbgut verursachen. Nur ein geringer Anteil (ca. 1 %) schleust die Genschere als bereits gebildeten Enzymkomplex ein. Ein Hintergrundpapier der FGU zeigt, dass jede der unterschiedlichen Anwendungen dieser Techniken mit eigenen spezifischen Risiken verbunden ist. Eine Recherche auf Google Scholar zeigt, dass die Genomeditierung bei weitem nicht so weit entwickelt ist, wie dies gerne dargestellt wird. Allein im Jahr 2021 wurden über 10 000 Studien zum Thema Verbesserungen der Genschere publiziert. Bereits kleinste Veränderungen mit der Genschere können auch ohne Einfügung von artfremder DNA (Transgen) Genfunktionen so beeinflussen, dass Stoffwechselwege und Inhaltsstoffe erheblich verändert werden, besonders wenn sie mehrfach und in Kombination durchgeführt werden (sogenanntes Multiplexing). Daraus resultieren neue, nicht vorhersehbare Risiken wie beispielsweise die Produktion neuer Toxine oder Allergene. Ob respektive welche Auswirkungen solche Veränderungen auf ein Ökosystem haben, in dem Pflanzen Teil eines Nahrungsnetzes sind und mit verschiedenen anderen Organismen in wechselwirkenden Beziehungen stehen, ist nur mit einer umfassenden Prüfung feststellbar.
Dieser mangelnde Wissensstand zu den Risiken spricht für die Anwendung strengerer Vorschriften bei der Zulassung genomeditierter Pflanzen und Tiere und keinesfalls für eine Abschwächung. Würde die Risikoprüfung den Herstellern überlassen, könnte dies dazu führen, dass unsichere Produkte auf dem Markt landen. Ein Beispiel hierfür ist der genomeditierte Stier Buri2. Mit ihm wollte eine US-Firma hornlose Kühe für den brasilianischen Markt züchten. Doch dann entdeckten Forschende der US-Lebensmittelbehörde FDA, dass Buri in seinem Erbgut neben der Änderung, die zur Hornlosigkeit führt, zusätzlich auch Antibiotikaresis–tenzgene besitzt, die aus Bakterien stammen und beim Herstellungspro–zess aus technischen Gründen in die Zellen eingeführt worden waren. Von der Herstellerfirma war dies nicht entdeckt oder nicht kommuniziert worden.
Dasselbe Risiko besteht auch bei genomeditierten Pflanzen, wie Studien bei Mais, Reis und Soja belegen, bei denen die genetischen Informationen der Genschere CRISPR/Cas mit Hilfe des Agrobakteriums eingeschleust wurde3.
Da solche unentdeckten Veränderungen im Genom die Lebensmittel–sicherheit beeinflussen können, ist eine unabhängige, staatliche Sicherheitsprüfung unerlässlich. Eine verantwortungsvolle Risiko–beurteilung nach dem Vorsorgeprinzip kann nur dann durchgeführt werden, wenn den Regulierungsbehörden eine genaue Charakterisierung eines jeden Produktes vorgelegt wird, das auf den Markt gebracht werden soll. Je genauer Herstellerfirmen den Entstehungsprozess dokumentieren müssen, desto besser kann bei einem Zulassungsantrag die Risiko–prüfung durchgeführt werden. Wie das Beispiel des Stiers Buri zeigt, ist dabei zu berücksichtigen, dass in den allermeisten Fällen eine Kombination von Techniken der alten und der neuen Gentechnik eingesetzt wird und neue Produkte mit den Fehlern beider Techniken behaftet sein können.
In Grossbritannien wurde daher die Forderung erhoben, dass der Begriff «precision breeding» ( Präzisionszüchtung) aus dem Titel des Gesetzent–wurfs gestrichen und durch eine korrekte und rein beschreibende Termi–nologie ersetzt werden müsse. Dies gilt nicht nur für Grossbritannien. Weltweit sollten Regierungen und Regulierungsbehörden dazu angehalten werden, die Verwendung von irreführenden Marketingbegriffen zur Beschreibung der neuen Gentechnik zu vermeiden und stattdessen wissenschaftlich und technisch korrekte Begriffe mit allgemein anerkannten Definitionen zu verwenden.
Die «normative Kraft des Fiktionalen» am Beispiel der Schweiz
Wie erfolgreich solche (Des-)Informationskampagnensein können, zeigt das Beispiel Schweiz. Bereits bevor im Herbst 21 im Parlament darum gestritten wurde, ob bei der Verlängerung des Gentechnikmoratoriums, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, auch die neuen Gentechnikverfahren eingeschlossen seien, lancierten die Gentechnikindustrie und die mit ihr verbandelten Wissenschaftskreise mit der Online-Plattform Science-based.ch eine aufwendige Werbekampagne, die sich solch vereinfachter Begriffe und Definitionen bediente, ohne transparent zu deklarieren, wer die Kampagne finanzierte. Ihre Argumente: Die Verfahren seien präzise und sicher. Bis 2050 brauche es eine Steigerung der Nahrungsmittel–produktion um 50 %, dies sei nur durch Innovation – welche mit Gentechnik gleichgesetzt wird – möglich. Wenig später wurde von Detailhandel und Produzentenorganisationen die Internetsite «Sorten für morgen» aufgeschaltet. Mit Erfolg. Die Medien berichteten ausführlich, der Ständerat kippte und verhinderte, dass die Moratoriumsverlängerung uneingeschränkt auch für die Genomeditierung gilt, wie dies zuvor der Nationalrat beschlossen hatte.
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 119: Gentechnik bei Nutztieren
Boom dank Genomeditierung
Die Entwicklung genomeditierter GV-Nutztiere boomt. Dies in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Besorgnis über das Wohlergehen industriell gehaltener Nutztiere wächst. Er fällt auch in die Zeit, in der Fleisch und Milchprodukte aus Massentierhaltung die Klima- und Biodiversitätskrise befeuern und eine zunehmende Zahl von Forschenden und Institutionen dazu aufruft, den Verzehr tierischer Erzeugnisse zu reduzieren. Wie trägt die Entwicklung genomeditierter GV-Nutztiere zur Lösung der bestehenden Probleme bei?
Text: Zsofia Hock
Seit Mitte der 1980er-Jahren erprobt die industrielle Tierzucht gentechnische Methoden. Der Weg zur Anwendung der Gentechnik an Nutztieren wurde durch die Entwicklung diverser Technologien geebnet: u. a. der künstlichen Besamung, der In-vitro-Fertilisation und des Embryotransfers. Diese hatten den Zuchtaufwand deutlich gesenkt und verstärkten die Tendenz, Tiere als reine Produktionsfaktoren zu behandeln.
Doch die Erfolge der klassischen Gentechnik sind ziemlich mager geblieben. 1985 wurde erstmals gezeigt, dass sich auch Nutztiere gentechnisch verändern lassen. In den folgenden 30 Jahren ist jedoch lediglich ein einziges GV-Tierprodukt entwickelt und auf den Markt gebracht worden: Das sogenannte GalSafe-Schwein der US-Firma Revivicor. Ursprünglich für humanmedizinische Zwecke entwickelt, wurde das Fleisch dieser Tiere für Menschen mit einer Allergie gegen Schweinefleischzugelassen. Allerdings wird noch immer nach Partnerfirmen gesucht, die am Verkauf von diesem Produkt interessiert wären.
Die bisher magere Bilanz der klassischen Gentechnik lässt sich auf mehrere Stolpersteine zurückführen. Einerseits war der Transfer artfremder Gene teuer, technisch mühselig und führte oft zu kranken und fortpflanzungsunfähigen Tieren. Andererseits fehlte auch die Nachfrage als Marktanreiz für die Entwicklung weiterer Produkte: Diese stiessen bei einer grossen Mehrheit der Bevölkerung auf Ablehnung.
Genschere befeuert Forschung
Mit der Genschere CRISPR/Cas hat sich die Lage schlagartig verändert. Knapp 10 Jahre nach ihrer Entdeckung lassen sich mit der Suchmaschine Google Scholar bereits über hundert Projekte mit genomeditierten Nutztieren für die Landwirtschaft finden. Die meisten Forschungsvorhaben fokussieren sich auf Schweine, gefolgt von Rindern, Schafen, Ziegen und Geflügel. Gründe für diesen Boom gibt es mehrere. So sind Eingriffe mit CRISPR im Vergleich zur klassischen Gentechnik schneller, besser steuerbar und in der Phase der Vorlaufforschungen auch kostengünstig. Besonders einfach lassen sich Tiere herstellen, bei denen beide Kopien eines Zielgens ausgeschaltet werden. Dementsprechend entstehen bei der Mehrheit der laufenden Projekte solche Knockout-Tiere. Das Hauptmotto der allermeisten Forschungsvorhaben lautet nach wie vor: mehr Fleischertrag. Bei anderen Projekten wird das Tierwohl als Beweggrund vorgeschoben. Um den Fleischertrag zu steigern, wird meistens ein Gen ausgeschaltet, das natürlicherweise das Muskelwachstum hemmt. Entsprechende Vorhaben gibt es nicht nur bei Schweinen und Rindern, sondern auch bei Hühnern, Schafen, Ziegen, Kaninchen und Wachteln. Diese Projekte degradieren die Tiere nicht nur zu blossen Fleischlieferanten, sondern machen sie oft auch krank.
(Bild: Shutterstock)
Das Nutztier, das am häufigsten gentechnisch verändert wird, ist das Schwein. 38 Prozent von 113 CRISPR-Nutztier-Foschungsprojekten im Zeitraum von 2012 bis 2021 haben das Borstenvieh im Visier.
Mit den neuen technischen Möglichkeiten fliessen wieder mehr private und öffentliche Gelder in die Entwicklung von Gentech-Nutztieren. Dabei verfolgen private Unternehmen von kommerziellen Interessen befeuert entweder eigene Forschungsziele oder unterstützen entsprechende universitäre Projekte. Die meisten Forschungsprojekte laufen in China, gefolgt von den USA und Grossbritannien. Die EU-Länder hingegen sind lediglich zu einem kleinen Prozentsatz an diesen Entwicklungen beteiligt. Die aktuell aktivsten Firmen Recombinetics und Genus stehen bereits mit Zulassungsbehörden in Kontakt, um ihre GV-Nutztiere auf den Markt zu bringen. Das auf die Herstellung genomeditierter Tiere spezialisierte US-Unternehmen Recombinetics und seine Tochterfirma Acceligen forschen u. a. intensiv an hornlosen und hitzetoleranten GV-Rindern für Südamerika (Argentinien) und an GV-Schweinen ohne Hoden für die USA, um Kastrationen überflüssig zu machen. Der britische Konzern Genus, der zu den weltweit führenden Schweine- und Rinderzüchtern gehört, will hingegen Schweine lancieren, die resistent gegen das PRRS-Virus sind – ein Erreger, der bei Sauen zu Fruchtbarkeitsstörungen und bei Ferkeln zu Fieber, Fressunlust und Tod führen kann. In den USA hat der Konzern bereits einen Zulassungsantrag eingereicht.
Gesundheitsrisiken und bedenkliche Deregulierung
Was den Boom genomeditierter Nutztiere ebenfalls begünstigt, ist das sich ändernde regulatorische Umfeld. Mehrere Länder – darunter Japan, Kanada, Brasilien, Argentinien und Australien – haben entschieden, genomeditierte GV-Nutztiere ohne artfremde Gene weniger streng als herkömmliche GV-Nutztiere zu regulieren.
Die Deregulierung findet jedoch nicht überall statt. In der EU hat sich die EU-Kommission 2021 gegen eine Deregulierung ausgesprochen. In den USA und China stehen Änderungen der Vorschriften zwar zur Diskussion, doch beide Länder regulieren die Genomeditierung bei Nutztieren nach wie vor gleich streng wie die klassische Gentechnik.
(Bild: Shutterstock)
In den USA wurden kürzlich hitzetolerante CRISPR-Rinder der Firma Recombinetics zugelassen. Die angeblichen Vorteile des Eingriffes und ob es einen Bedarf für derartige Tiere gibt, ist fraglich. Zudem können die erwünschten Merkmale auch mit konventioneller Zucht erreicht werden. Wird das Gentechnikgesetz gelockert, könnte Zuchtmaterial dieser Tiere auch in die Schweiz gelangen – ohne Risikoprüfung.
In den Ländern mit einer laschen Regulierung der Gentech-Nutztiere könnten die Produkte von Firmen wie Genus und Recombinetics bald ohne umfassende Sicherheitstests und ohne Kennzeichnung verkauft werden. Für die Herstellerfirmen kein Problem – im Gegenteil: Sie können nicht nur Kosten bei den Sicherheitstests sparen, sondern müssen auch nicht befürchten, dass Fleisch oder Milch ihrer Tiere als GVO deklariert und deshalb von der Konsumentenschaft abgelehnt wird.
Doch wird die Kennzeichnungspflicht aufgehoben, verlieren Konsumierende die Wahlfreiheit, ob sie Gentechnik auf ihrem Teller möchten oder nicht. Aus Sicht des Konsumentenschutzes ist eine Lockerung der Vorschriften also unerwünscht. Werden die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen gelockert oder den Firmen gänzlich überlassen, kann zudem auch die Sicherheit der Produkte von genomeditierten GV-Nutztieren nicht mehr garantiert werden.
Bakteriengene im Rindererbgut – Warum eine unabhängige Risikoprüfung unerlässlich ist
Dass Bedenken im Bezug auf die Sicherheit der von den Herstellern selbst geprüften Produkte nicht unberechtigt sind, unterstreicht das Beispiel des von Recombinetics genomeditierten Bullen namens Buri. Mit ihm wollte die US-Firma die oft kritisierte, schmerzhafte mechanische Enthornung von Kälbern überflüssig machen, um in den Ställen Verletzungen zu vermeiden. Obwohl 100-prozentig genetisch reine Kühe angekündigt waren, wurde bei einer genaueren Überprüfung der US-Lebensmittelbehörde FDA festgestellt, dass Buri in seinem Erbgut neben der Änderung, die zur Hornlosigkeit führt, zusätzlich auch aus Bakterien stammende Antibiotikaresistenzgene besitzt. Die Gene wurden bei der Herstellung aus technischen Gründen in die Zellen eingeführt und könnten auf Verbraucherseite ein Risiko darstellen. Solche und ähnliche ungewollte Fehler sind bei der Anwendung der Genschere keine Seltenheit. Bei einer Deregulierung hätte jedoch niemand die Präsenz solcher Gene kontrolliert.
Genomeditierung: Tierwohl oder Tierleid?
Die Fehleranfälligkeit der Genomeditierung tangiert nicht nur den Konsumentenschutz, auch der Tierschutz kann betroffen sein. Denn unbeabsichtigte Änderungen im Erbgut können die Gesundheit und das Wohlbefinden der editierten Tiere negativ beeinflussen. Tierwohl und -gesundheit sind zusätzlich beeinträchtigt, wenn die Genomeditierung in Kombination mit dem Klonen erfolgt, wie dies bei 90 Prozent der Projekte der Fall ist, bei denen mittels Genomeditierung Gene ins Erbgut von Tieren eingefügt werden. Die Hälfte der Projekte, bei denen Gene ausgeschaltet werden, greift ebenfalls auf das Klonen zurück. Klonen ist mit erheblichem Tierleid verbunden und bleibt nach wie vor sehr ineffizient, führen doch nur gerade 1 bis 5 Prozent der in ein Leihmuttertier übertragenen Klonembryonen zu Nachkommen.
Das bei Genomeditierungsprojekten oft als Beweggrund vorgeschobene Tierwohl ist also mit Vorsicht zu geniessen. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass marktwirtschaftliche Interessen überwiegen. Auch die Rechtfertigung vieler Ziele der Genomeditierung von Nutztieren lässt sich in vielerlei Hinsicht kritisch bewerten. Genau dies ist der Fall bei den Genomeditierungsprojekten, die darauf abzielen, die Kastration männlicher Mastferkel überflüssig zu machen. Die Entmannung ist eine heute umstrittene Methode, mit der sich der Ebergeruch verhindern lässt, der manchen Menschen den Genuss von Fleisch männlicher Schweine verdirbt. Eine Alternative sollen männliche Ferkel darstellen, die so editiert sind, dass sie entweder weibliche Geschlechtsorgane bilden oder ohne Hoden zur Welt kommen. Dass es die Lösung aus dem Genlabor jedoch gar nicht braucht, zeigt die sogenannte Immunokastration. Die Impfung mit dem Wirkstoff Improvac verschiebt den Beginn der Pubertät der Eber hinter den Schlachttermin und bietet dadurch bereits heute eine tierfreundliche Alternative zur chirurgischen Kastration.
Ein Bericht der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth International kommt zum Schluss, dass Genomeditierung vor allem dazu verwendet wird, Nutztiere besser an die Bedingungen der industriellen Haltungssysteme anzupassen. In einer Zeit, in der ein Weniger an Fleisch und Milchprodukten ein Mehr an Klima-, Artenvielfalt- und Tierschutz ist, boomt somit ein Forschungszweig, der darauf abzielt, die Massentierhaltung zu stärken. In der Schweiz verbietet das Gentechnikgesetz die Erzeugung gentechnisch veränderter Wirbeltiere für landwirtschaftliche Zwecke. Doch die Industrie und die damit verbundenen Forschungskreise wollen neue Verfahren wie die Genomeditierung mit CRISPR aus dem Gentechnikrecht ausnehmen. Damit könnten bald gentechnisch veränderte Kühe, Schweine, Ziegen, Schafe und Hühner auf Schweizer Höfen und Weiden leben. Ob das wünschenswert ist? Für eine Landwirtschaft, die Eier, Milch und Fleisch sicher und marktorientiert produzieren will, bietet der Verzicht auf genomeditierte GV-Nutztiere den besseren Weg.
Mit der Genschere CRISPR/Cas erlebt die gentechnische Veränderung von Tieren einen Boom. Woran wird geforscht? Welche neuen Risiken ergeben sich? Was bedeutet der neue Schub an veränderten Tieren für Umwelt, Konsum und für die Tiere selbst? Diese Fragen erläutert der Bericht der SAG und des Schweizer Tierschutzes STS aus Sicht des Tier-, Umwelt- und Konsumentenschutzes: www.gentechfrei.ch/tierstudie
Gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen als nahtlose Fortsetzung des uralten Prozesses der Domestikation? Die neue Gentechnik füge sich bestens in diese über Jahrtausende fortlaufende Entwicklung ein. Mit solchen Behauptungen versuchen Agrogentechnikbefürwortende, die Öffentlichkeit für ihre Produkte zu gewinnen. Doch Genommanipulation im Labor und Domestikation sind keineswegs vergleichbare Prozesse. Nicht nur auf biologische und soziopolitische Abläufe wirken sie sich unterschiedlich aus – auch die Art und Weise, wie sie Agrobiodiversität und Saatgutsouveränität beeinflussen, lässt sich kaum vergleichen.
Text: Zsofia Hock
Domestikation – die Umwandlung von Wildpflanzen in Kulturpflanzen durch Zuchtauslese – ist ein langer Entwicklungsprozess. Mit der Veränderung natürlicher Ökosysteme durch die landwirtschaftliche Tätigkeit des Menschen entstanden neue Selektionskräfte. Diese wiederum riefen Anpassungen im Genom, im Erscheinungsbild oder im Verhalten der Pflanzen hervor. So verloren beispielsweise viele Kulturarten ihre Fähigkeit, sich auch ohne menschliche Hilfe zu verbreiten, weil die entsprechende Selektionskraft wegfiel. Sie brauchten diese Fähigkeit nicht mehr,um sich zu vermehren.
Die Bühne für die Abläufe der Domestikation bildeten lokale landwirtschaftliche Betriebe. Die treibende Kraft waren lokale Bedürfnisse. Auslese und Kultivierung lagen dabei in der Hand der Bäuerinnen und Bauern – und basierten oft auf einer lebenslangen Verbindung zwischen Menschen und Sorten.
Gentechnik führt zur Zentralisierung und Enteignung von Wissen und Besitzrechten
Sowohl Pflanzenzüchtung als auch Gentechnik unterscheiden sich grundlegend von diesem Prozess, da sie die Pflanzenzüchtung von den landwirtschaftlichen Betrieben weg und hin zu zentralisierten Institutionen verlagern. Dies bestätigt eine neue Studie von US-Forschenden inder Fachzeitschrift «Agriculture and Human Values». Der Trend, der mit der Institutionalisierung der Züchtung angefangen hat, wird von der Gentechnik auf das Extremste verstärkt: Nicht nur dominieren die von der Agrarindustrie als nützlich erachteten Merkmale die Forschung und Entwicklung, sondern auch das Wissen und die Arbeit rund um die pflanzengenetischen Ressourcen wird vom landwirtschaftlichen Betrieb getrennt. Die Zucht der Pflanzen findet nicht mehr auf dem Feld statt, sondern im Labor. Das Privileg, über Saatgut und Wissen zu verfügen, wurde den Bäuerinnen und Bauern weggenommen und zuerst in Institutionen, mit der Entwicklung der Gentechnik dann in die Hände weniger Grosskonzerne verlagert. Patentgeschütztes Saatgut wurde zum geistigen Eigentum und ist somit nicht mehr frei austauschbar oder weiterverwendbar, um noch mehr Vielfalt zu erschaffen.
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Die treibende Kraft bei der Domestikation waren lokale Bedürfnisse. Auslese und Kultivierung lagen dabei in der Hand der Bäuerinnen und Bauern.
Im Sinne der Zentralisierung und der Enteignung des Wissens und der Rechte rund um das Saatgut ist also tatsächlich eine gewisse historische Kontinuität zu bemerken – nicht aber im biologischen Sinn. Während bei der Domestikation aus – genetisch gesehen – diversen Populationen ebenso vielfältige Populationen entstehen, schrumpft die Agrobiodiversität in Folge der Tätigkeit von Züchterinnen und Gentechnikern. Denn dabei wird aus vielfältigen Populationen geschöpft, um durch direkte Selektion genetisch homogene Pflanzen mit besonders wünschenswerten Merkmalen herzustellen.
Irreführende Gehirnwäsche
Aussagen wie «die Menschheit hat bereits vor 10 000 Jahren angefangen, Pflanzen für die Nahrungsmittelproduktion genetisch zu verändern» oder «fast alle aktuell konsumierten Nahrungspflanzen sind grundlegend anders als ihre natürlichen Vorfahren – sie sind über Tausende von Jahren manipuliert worden» sind mittlerweile im öffentlichen Diskurs weit verbreitet. Autoren und Wissenschaftsjournalistinnen, die Domestizierung und Gentechnik in einen Topf werfen, wollen ihrer Leserschaft einreden, dass die Ängste der gentechnikskeptischen Öffentlichkeit irrational und das Resultat eines Mangels an Wissen über Pflanzenbiologie sind. Somit wird versucht, von Bedenken beispielsweise über die unbeabsichtigten Folgen der Technologie abzulenken.
Biodiversitätsverlust ist soziopolitischen Ursprungs
Doch solche Aussagen ignorieren die Kritik an den soziopolitischen Aspekten des intensiven landwirtschaftlichen Systems. Der Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität hat seinen Ursprung nicht in der Biologie, sondern lässt sich vielmehr auf soziopolitische Auslöser zurückführen. Patente auf gentechnisch veränderte Sorten engen die Verfügungsrechte über Sorten ein. Mit der Kon-zentration der Nutzungsrechte bei begrenzten staatlichen und privaten Körperschaften geht wertvolles Wissen verloren und das dezentralisierte System der bäuerlichen Züchtung – der Schlüssel zur Erhaltung der biologischen Vielfalt – wird gesprengt.
Wie sehr die Dominanz der wenigen grossen Agrarunternehmen mit ihrem einheitlichen Angebot die Agrobiodiversität bedroht, lässt sich gut quantifizieren: Wurden in der Vergangenheit etwa 7000 Pflanzenarten zwecks Ernährung angebaut, tragen heute nur noch etwa 80 Sorten massgeblich zur globalen Nahrungsversorgung bei. Die Hälfte aller pflanzenbasierten Kalorien stammt aus nur drei Arten Reis, Mais und Weizen. In Mexiko gingen zwischen 1930 und 1970 etwa 80 Prozent der Maissorten verloren. Dieser Schwund wird durch den massiven Ausbau der kommerzialisierten, industriellen Landwirtschaft weiter verstärkt, die auf immer grösseren Flächen Cash Crops wie Soja für die Tiermast anbaut. Zu nennen ist auch der Aufkauf riesiger Landflächen, das Land Grabbing, durch Investmentfonds, Banken und Regierungen, das mit der Vertreibung der ansässigen Bevölkerung, einer Zerstörung der meist kleinbäuerlich und vielfältig strukturierten Land- und Forstwirtschaft und der Anlage neuer Monokulturen und Plantagen verbunden ist.
In den USA, wo institutionalisierte Pflanzenzüchtung und Gentechnologie die On-Farm-Züchtung fast vollständig ersetzt haben, ist dieses Szenario bereits Realität. Mangels strenger Regulierung der neuen Gentechnikverfahren könnte das USA-Szenario aber schnell auch ein globales werden.
Nur Verfahren, die sich über lange Zeit bewährt haben, sollten von dieser Kontrolle ausgenommen werden. Die neuen Techniken müssen so lange einer Überprüfung unterzogen werden, bis sie gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden, folgert das Gutachten. Selbstverständlich ist ein Nullrisiko nicht möglich, doch sind strengeAuflagen umso notwendiger, als bisher die möglichen Risiken den erwarteten (mageren bis nicht vorhandenen) Nutzen der GVO übersteigen.
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In Mexiko gingen zwischen 1930 und 1970 etwa 80 Prozent der Maissorten verloren, in den USA rund 80 bis 95 Prozent der Apfel-, Kohl-, Feldmais-, Erbsen- und Tomatensorten und in China Tausende Weizensorten. Ähnliche Verluste gab es in der Tiervielfalt. In Europa und Nordamerika machen heute Holstein-Rinder 60–90 Prozent aller Milchkühe aus.
Saatgut und Vielfalt sind die Basis der Landwirtschaft
Wer würde dem nicht zustimmen? Pflanzenzüchterinnen und Biotechnologen schöpfen bis heute aus der unermesslichen, über Tausende von Jahren durch die Uneinheitlichkeit der landwirtschaftlichen Praktiken entstandenen Agrobiodiversität. Doch die Lage ist prekär: Die Entscheidung darüber, was und wie in Zukunft gezüchtet, angebaut und konsumiert wird, wird global von immer weniger Konzernen beeinflusst, deren Marktmacht stetig wächst. Für diese Unternehmen ist Saatgut vor allem eins: ein gewinnbringendes Geschäft.
Gewinnbringend ist das Geschäft mit Saatgut, wenn es weltweit an möglichst viele Betriebe verkauft werden kann, die grosse Flächen bewirtschaften. Verbreitet wird das, was sich gut verkaufen lässt: sogenannte Cash Crops. Inzwischen hat sich nicht nur die landwirtschaftliche Produktion auf dieses einheitliche Angebot eingestellt; es betrifft die ganze Wertschöpfungskette. Egal ob es um Tomaten, Rüebli oder Zucchetti geht: Auch bei diesen Kulturen stammt das Saatgut meist von den grossen Konzernen. Diese entwickeln fast ausschliesslich Hybridsorten. Für Betriebe, die das sehr einheitliche, gleichmässig reifende Gemüse in grossen Chargen verkaufen können, ist dies oft ein Vorteil. Auch der Handel ist zufrieden, erfüllen diese Sorten doch die heute so wichtigen Merkmale der langen Transport- und Lagerfähigkeit. Die Kundschaft muss auf diese Weise jedoch auf eine grosse Farben-, Formen- und Geschmacksvielfalt verzichten: Was nur leicht von der Norm abweicht, schafft es nur schwer oder gar nicht auf den Acker und erst recht nicht in den Handel.
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Dank Organisationen wie ProSpecieRara, die den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt fördern, ist eine Vielzahl in Vergessenheit geratener Sorten wieder auf den Märkten und in den Läden zu finden, wie zum Beispiel verschiedene Pastinaken.
Glücklicherweise gibt es Ausnahmen. Biobetriebe und viele nationale Stiftungen zur Erhaltung der Sortenvielfalt bieten ein wachsendes Sortiment an Arten und Sorten an. Die erhöhte Sichtbarkeit des Sortenreichtums hat nicht nur einen direkten didaktischen Nutzen, so wie die Erhaltung der traditionellen Kulturpflanzenvielfalt durch On-Farm-Produktion nicht nur der kulinarischen Bereicherung dient. Sie haben eine grundlegende, über das eigene Land hinaus wegweisende Bedeutung. Es geht um nicht weniger als die globale Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels und die Widerstandsfähigkeit landwirtschaftlicher und natürlicher Systeme angesichts globaler Pandemien.
Agrobiodiversität und Klimakrise
Die Klimakrise stellt die Landwirtschaft durch unberechenbare Wetterereignisse sowie erhöhten Krankheitsdruck vor enorme Herausforderungen. Die gezielte Nutzung der Agrobiodiversität – im umfassenden Sinne des Begriffs – kann dabei helfen, landwirtschaftliche Anbausysteme robuster zu machen. Während eine Pflanze, die primär auf Ertragsmaximierung entwickelt wurde, klimatischen Schwankungen ausserhalb ihres Optimums kaum etwas entgegenzusetzen hat, kann ein diversifiziertes Anbausystem diese abpuffern: je mehr Vielfalt auf dem Acker, desto höher die Sicherheit, dass überhaupt noch etwas geerntet werden kann. Gleiches gilt auch für den Schädlings- oder Krankheitsdruck. In homogenen Anbausystemen mit einer geringen genetischen und systemischen Vielfalt können sich Krankheiten und Schädlinge schnell vermehren und ganze Bestände vernichten. Ein vielfältiger Mix verschiedener Arten, Sorten und Strukturen – wie sie z.B. in Agroforstsystemen vorhanden sind – bremst die Verbreitung von Krankheiten und Schädlingen aus und beugt kompletten Ertragsausfällen vor.
Agrobiodiversität und Pandemien
Nicht zuletzt können vielfältige Anbausysteme und Strukturen die Ausbreitung globaler Pandemien wie wir sie seit 2020 mit Covid-19 erleben, bremsen oder verhindern. Wird ein Stück tropischer Regenwald, bestehend aus verschiedenen Bäumen, Sträuchern, ein- und mehrjährigen Pflanzen abgeholzt und zerstört, um einer Palmölplantage Platz zu machen, verlieren Wildtiere wie Fledermäuse, die inzwischen als «Virusträger» bekannt sind, ihren Lebensraum. Sie lassen sich nun in der Plantage nieder. Hier finden sie nicht nur Nahrung, sondern können sich auch – ohne natürliche Feinde – stark vermehren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie über Bisse oder ihren Speichel Krankheitserreger an die in der Plantage arbeitenden Menschen weitergeben, steigt. Über einige weitere Zwischenschritte – und mit Hilfe der globalen Warenketten – können sich Erreger auf diese Weise weit über die Ursprungsregion hinaus verbreiten. Es ist also höchste Zeit, dass die verbliebene Vielfalt natürlicher Lebensräume erhalten bleibt und die landwirtschaftliche Vielfalt zurück auf die Äcker findet. Deshalb ist es wichtig, die irreführende Semantik der gewinnorientierten Gentechnik zu entlarven und die Domestikation eindeutig von Pflanzenzüchtung und Gentechnik abzugrenzen, um die Pflanzenvielfalt und die soziopolitischen Beziehungen, die sie fördern, zu erhalten.
Die Ausführungen zu Saatgut und Vielfalt basieren auf: Gelinsky, E. 2021; Vom Wert der Vielfalt: Warum die Erhaltung der Agrobiodiversität in der Schweiz eine globale Dimension hat. In: Schweizer Heimatschutz (Hrsg.): Schulthess Gartenpreis 2021 für die Stiftung ProSpecieRara, S. 8 –10.
Mit der Genschere CRISPR/Cas hält die Genomeditierung auch Einzug in Naturschutzprojekte. Die Anwendungsideen sind vielfältig – von der erhofften sensationellen Wiederbelebung ausgestorbener Arten bis zu kleineren Eingriffen, welche bedrohte Arten stärken sollen. Diese Entwicklung ist alarmierend. Ausgerechnet in diesem sensiblen Bereich, in dem der Mensch bereits so viel Schaden angerichtet hat, plant man nun Eingriffe mit ungenügend geprüften Technologien. Deren Auswirkungen sind noch nicht abschätzbar – weder auf die Zielarten selbst noch auf das ganze Ökosystem.
Text: Zsofia Hock
Ein neues Forschungsgebiet, Resurrection Biology getauft, beschäftigt sich damit, ausgestorbene Tiere mittels Genomeditierung wieder zum Leben zu erwecken. Solche Forschungsziele werden einerseits durch eine Art Sehnsucht nach dem Verlorenen und der Hoffnung, menschengemachte Schäden wiedergutmachen zu können, angetrieben, andererseits aber auch durch pure Neugier. Oft werden als Motivation auch aktuelle Probleme angegeben, bei denen eine Lösung dringend herbeigesehnt wird – etwa die Bekämpfung des Klimawandels. Die Frage ist, ob dies nicht lediglich ein wohlklingendes Alibi ist, um den waghalsigen Experimenten eine grosszügigere Finanzierung zu sichern. Auch wenn Jurassic Park höchstwahrscheinlich Science-Fiction bleibt, werfen solche Auferweckungsträume eine Reihe ethischer Fragen auf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn eine Art ausgerottet und danach wiederbelebt werden kann, könnte das nicht dazu führen, dass man sich weniger um die Erhaltung der Spezies in der freien Wildbahn bemüht?
Projekt Wollhaarmammut – lebendiges Museumstier oder mehr?
Das Vorhaben in diese Richtung mit dem grössten Medienecho weltweit will das seit Tausenden Jahren ausgestorbene Mammut wieder zum Leben erwecken. Wenn alles nach Plan läuft, sogar schon in 6 Jahren – eine kleine Sensation. Das auf den vielsagenden Namen Colossal getaufte, millionenschwere Projekt einer US-Forschungsgruppe um den Molekularbiologen George Church versucht aber auch, mit in den Mantel der Vernunft gehüllten Begründungen zu überzeugen. Das Argument des Klimaschutzes muss auch hier herhalten: Vom Mammut gestampfter Winterschnee soll das Tauen der Dauerfrostböden und die damit verbundenen erhöhten CO2–Emissionen in der Arktis verlangsamen.
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Von Mammufanten gestampfter Winterschnee soll dem Klimawandel entgegenwirken. Doch die Entwicklung solcher genomeditierter Chimären kann nicht mit dem Tempo des Klimawandels mithalten. Auch kann die Technologie Elterntiere nicht ersetzen,welche ihren Nachkommen Verhaltensmuster weitergeben.
Technische Schwierigkeiten vorhersehbar
Um eine dem Wollhaarmammut ähnliche Art heranzuziehen, sollen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas Zellen von Asiatischen Elefanten mit im Eis gefundenen gefrorenen Genen des Mammuts kombiniertwerden. Bis ein solcher Mammufant durch die Permafrostlandschaft der Arktis stampfen kann, müssten jedoch einige technische Hindernisse überwunden werden.
Einen Stolperstein stellen die enormen Unterschiede zwischen dem genetischen Code des ausgestorbenen Riesen und seinem nächsten Verwandten, dem Asiatischen Elefanten, dar: eine Diskrepanz von 1,5 Millionen Nukleotiden im Genom. Alle Unterschiede mittels Genschere auszugleichen, ist kaum möglich. Deswegen fokussieren die Biotechnologen auf Gene, welche den Phänotyp massgeblich beeinflussen: etwa auf Genabschnitte, welche die Grösse der Ohren, die Behaarung oder die Bildung des Unterhautfettgewebes bestimmen. Doch ein Organismus ist nicht die Summe seiner Gene. Mit dem Aussterben gingen neben physischen Eigenschaften auch Verhaltensweisen des Mammuts verloren: Migrationsrouten, Paarungsrituale, Techniken der Nahrungssuche und der Kommunikation. Deshalb ist es fraglich, inwiefern wiederbelebte Tiere erfolgreich ausgewildert werden könnten. Das Ergebnis des Mammutprojekts wird daher eine neue Art sein, die der ausgestorbenen Art zwar ähnelt, aber doch grundlegend anders ist: eine Art kältetoleranter Elefant, eine Kuriosität.
Bevor man überhaupt über ein Auswildern nachdenken kann, müssten weitere technische Hindernisse bewältigt werden. Etwa dasjenige des Klonens – damit ein Mammufant ausgetragen werden kann, müsste das manipulierte Mammuterbgut in eine entkernte Elefanteneizelle übertragen werden. Auch bei Arten, die noch nicht so lange ausgestorben oder enger miteinander verwandt sind, treten bei diesem Prozess Schwierigkeiten auf. Das Ausmass der evolutionären Unterschiede zwischen Mammut und Elefant könnte den Erfolg dieses Schrittes zusätzlich negativ beeinflussen. Bereits die Entnahme der Eizelle bei Elefanten ist riskant und mit erheblichem Tierleid verbunden.
Selbst wenn man über all diese Hindernisse hinwegkommt, wäre es zu spät – denn um das Auftauen einer Permafrostregion, die sich über Millionen von Quadratkilometern erstreckt, zu bremsen, müsste eine hohe Populationsdichte erreicht werden. Angesichts des langen Fortpflanzungszyklus des Mammuts lässt sich dies wohl kaum rechtzeitig realisieren. Daher muss der Frage nachgegangen werden, wer von solchen Projekten profitiert. Der Mensch? Die Tierart? Die einzelnen Individuen, die zur Umsetzung des Wiederbelebungsversuchs benutzt werden, ganz bestimmt nicht.
The Great Comeback – die Rückkehr der Wandertaube
Der Mammufant ist nur eines dieser Wiederbelebungsvorhaben. Andere Arten, die noch nicht so lange ausgestorben sind, könnten vor den Urzeitriesen wieder zum Leben erweckt werden. So etwa die Wandertaube (Ectopistes migratorius). Die Haupttriebfeder der Forschung bildet hier das Wohlergehen derjenigen Ökosysteme, denen seit dem Verschwindendieses Vogels ein wichtiger Ökosystembaustein fehlt. Noch vor 150 Jahren suchten Wandertauben in riesigen Scharen die Wälder Nordamerikas heim – bis das letzte Exemplar dem Jagdfieber zum Opfer fiel. Durch ihre Lebensweise beeinflussten die Vögel die Ökologie dieser Gebiete massgeblich. Denn jeder Einfall der Vogelschwärme zwang die Wälder zu Regenerationszyklen, die seit deren Verschwinden ausbleiben. Die nächste lebende Verwandte, die Ringeltaube, unterscheidet sich von der Wandertaube in 25 Millionen Genen. Trotzdem hoffen die Forscher auch hier, dass Veränderungen in ein paar Dutzend wichtigen Genen genügen, um eine Taube zu kreieren, welche sich wie die ausgestorbene Taubenart verhält.
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Der Ringeltaube (Columba palumbus), ein auch in der Schweiz häufig vorkommender Brutvogel, ist der engste lebende Verwandte der ausgestorbenen Wandertaube. Als solcher soll er für Wieder- belebungsexperimente benutzt werden, obwohl der genetische Unterschied zwischen den beiden Arten bedeutend ist.
Wie alle Wiederbelebungsprojekte wirft auch dieses zahlreiche praktische und ethische Fragen auf. Wie würden sich die wiedererweckten Wandertaubenpopulationen in die sich seither veränderte Landschaft Nordamerikas einfügen? Was wäre, wenn die Riesenschwärme den bereits durch Wildfeuer und Erreger strapazierten Wäldern mehr schaden als nützen? Oder wenn die Tauben für grosse Metropolen wie New York zur Plage würden?
Die IUCN empfielt, dass solche Projekte nur dann grünes Licht bekommen, wenn die ursprünglichen Ursachen des Aussterbens beseitigt werden konnten. Im Falle der Wandertaube ist es fraglich, ob die Jagd als potenzielle Bedrohung ausgeschaltet werden kann. Vor allem, wenn die erneut eingeführte Art oder deren genomeditiertes Faksimile neu invasiv wird und als Schädling agiert – dies könnte im Falle der reiselustigen Wandertaube schnell zutreffen.
Bedrohte Arten gegen das Aussterben wappnen
Eingriffe mit der Genschere sollen auch dazu genutzt werden, die Auswirkungen des menschengemachten Biodiversitätsverlustes zu verlangsamen und möglichst vielen gefährdeten Arten eine Art Verschnaufpause vor dem drohenden Aussterben zu verschaffen. Dies wäre das Anwendungsziel, das eventuell technisch am ehesten realisierbar wäre, allerdings aber auch weniger spektulär für Medienjubel und an Publizität interessierten Grosssponsoren.
Das Thema beschäftigt die internationalen Naturschutzgremien und Forschungsgruppen jedoch aktuell sehr. Eine zentrale zu klärende Frage in dieser Diskussion lautet, bei welchem Gefährdungsstatus welche Methoden überhaupt eingesetzt werden dürften und wer darüber entscheidet. Die Idee eines unabhängigen Gremiums aus repräsentativen Interessenvertretern hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Verständlich: Denn die potenziell weitreichenden Auswirkungen genomeditierter Organismen werden von den Biotechnologen nicht immer genügend berücksichtigt. Eine gesellschaftlich breiter abgestützte Beurteilung ergibt durchaus Sinn.
Experten der Washington University schlagen vor, die Eingriffstiefe der Genomeditierung analog der Klassifizierung der Bedrohungsstufen der Weltnaturschutzorganisation IUCN zu definieren. In einem ersten Schritt soll die Genomeditierung dazu dienen, das Monitoring der Populationsgrösse und des Genflusses zwischen Populationen von gefährdeten Tierarten zu erleichtern. Bei stärker gefährdeten Arten schlagen die Forschenden vor, sich auf die Erhaltung der Arten zu konzentrieren, indem deren Anpassungsfähigkeit durch vorteilhafte Punktmutationen, induziert durch Genomeditierung, verbessert wird. Denkbar wäre ein solcher Eingriff bei Korallen, welche durch solche Mutationen auch bei höheren Wassertemperaturen überleben sollen. Ein weiteres Ziel dieser Kategorie des Revive & Restore, welches auch die Wiederbelebung der Wandertaube plant, wäre das auf Madagaskar lebende Schwarzfussfrettchen. Mittels Aktivierung spezifischer Gene durch CRISPR/Cas soll es resistent gegen die silvatische Pest gemacht werden, die durch Bakterien verursacht wird.
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Der in seinen Beständen gefährdete Feuersalamander wird durch eine eingeschleppte Pilzkrankheit bedroht. Forschende möchten sein Erbgut mit einem Gene Drive so verändern, dass er immun gegen den Pilz wäre.
Bei Arten der höchsten Gefährdungsstufe müssten auch grössere Eingriffe ins Genom in Betracht gezogen werden, postuliert das Forscherteam. So etwa das Entfernen schädlicher rezessiver Mutationen in Populationen aufgrund von Inzucht. Diese beeinträchtigen beispielsweisedie Züchtung des kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus) in Gefangenschaft. Auf die gleiche Art könnten auch verloren gegangene vorteilhafte genetische Merkmale wiederhergestellt werden, wenn dies mit direkter Züchtung nicht möglich ist.
Unklar ist aber, bei welchem dieser Schritte welche Technologie erlaubt wäre und ob die Anwendung von schwer kontrollierbaren Methoden, wie die der Gene-Drive-Technologie, je erlaubt sein sollten. Auch derartige Forschungsprojekte sind keine Seltenheit. Eines davon betrifft den auch hierzulande heimischen Feuersalamander. Diese Lurche sind bereits wegen des Verlustes ihrer Lebensr ume akut gefährdet. Nun werden sie zusätzlich von einem aus Asien eingeschleppten Hautpilz bedroht. Um diese tödliche Gefahr abzuwenden, soll dem Erbgut des Feuersalamanders mittels Gene Drives ein Gen eingefügt werden, welches sie immun gegen den Pilz machen soll. Grundsätzlich gilt es in jedem Fall abzuwägen, ob die Wiederherstellung von Verlorenem oder der Schutz des noch Vorhandenen dringender ist. Die knappen Gelder sollten in diejenigen Forschungsbereiche fliessen, welche die Biodiversität am effektivsten erhalten. Waghalsige Forschungsvorhaben mit Biotechnologie dürfen die Erhaltungsbiologie nicht konkurrenzieren, indem sie Ressourcen von den notwendigen ökologischen Schutzmassnahmen abziehen.